Erlangen - Für den Schriftsteller Matthias Politycki ist es "das Woodstock der Literatur": Das Erlanger Poetenfest hat am Wochenende in seiner mittlerweile 29. Auflage wieder mehr als 12 000 Literaturfreunde angelockt. In entspannter Atmosphäre trafen sich rund 80 Autoren, Kritiker und Publizisten zu Lesungen und Gesprächen im Grünen. Das Poetenfest ist zudem eine Revue der Neuerscheinungen, denn viele der vorgestellten Bücher sind noch gar nicht erschienen.

Im idyllischen Schlossgarten sind das Hauptpodium und die Nebenbühnen stets von Interessierten umlagert, die entweder ungezwungen auf Bierbänken und Klappstühlen sitzen oder es sich auf Decken gemütlich machen. Der Park wird zum Ort der Begegnung mit den unterschiedlichsten fiktiven Schicksalen. Die Besucher tauchen in fremde, literarische Lebenswelten ein.

Sprachübermut

Ulla Hahn liest hier aus ihrem neuen Band "Aufbruch". Darin gewährt sie einen anrührenden Blick in die Seele der mutigen und doch so verletzlichen Heranwachsenden Hilla Palm. Sprachübermütig zeichnet sie mit großem epischen Schwung erneut ein detailreiches Sittengemälde der Bundesrepublik der 60er Jahre. Es ist die Fortsetzung ihres Erfolgsro-
mans "Das verborgene Wort". Erneut trägt die Geschichte autobiografische Züge, "aber durch die Fiktion verschaffe
ich mir schriftstellerische Freiheit", betont sie auf dem Podium, das von ihren Fans dicht umsäumt ist.

Gerade von der Recherchereise für einen Roman ist der literarische Weltenbummler Matthias Politycki aus Usbekistan und Tadschikistan zurück. In Erlangen stellt er seine sorgfältig komponierte "Jenseitsnovelle" vor. "Es ist kein ganz lustiges Buch, aber mein Gott, man muss es ja schreiben", stellt er fest - denn wenn ihn ein Stoff einmal gepackt, dann kann er nicht mehr anders. Die aufwühlende Liebesgeschichte ist gleichzeitig ein schlimmer Albtraum. "Der Tod beschäftigt mich schon immer", berichtet der Schriftsteller mit Hofer Wurzeln später im Gespräch mit Hajo Steinert.

Als "Robert De Niro der deutschen Literatur" bezeichnet Moderator Dirk Kruse den österreichischen Schriftsteller Thomas Glavinic und bezieht sich damit auf dessen Vielseitigkeit. "Sie schreiben immer ganz neu und anders", lobt er. "Das Leben der Wünsche" heißt der aktuelle Band des Österreichers, ein schillernder Roman, der in rasantem Tempo erzählt wird: Die Sätze sind kurz, und einige Kapitel bestehen nur aus einer einzigen Sentenz. Das Sujet ist spannend, ja fast ungeheuerlich. Es geht um einen jungen, erfolgreichen Mann, der lernen muss, dass Glückserfüllung das wahre Unglück ist.

Auf der Bilderbuch-Lesewiese tummeln sich indes die Kleinsten, während andere Kinder auf ihren Plätzen gebannt zuhören: Antje Wagner stellt ihren Thriller "Unland" am "Jungen Podium" vor. Mit einer nervenzerreißenden Story fesselt sie die kleinen Bücherwürmer. Im kunterbunten Zelt der "Raupe Nimmersatt" wird Geburtstag gefeiert: Inzwischen ist das verfressene Tier 40 Jahre alt und bei den Kleinsten immer noch der Hit.

"Literatur ist etwas Künstliches", so lautet die Maxime von Brigitte Kronauer. Der Hamburger Schriftstellerin ist ein Autorenporträt gewidmet. Geschliffen in der Sprache, subversiv fabulierend hat sie ihren neuen Roman "Zwei schwarze Jäger" zu Papier gebracht. Grotesk und absonderlich, ironisch und böse ist die Geschichte von der Altgeliebten im Rollstuhl, die im Feldzug gegen ihre konformen Jung-Nachbarinnen ihren Ex-Freund zum mehrfachen Ehebruch anstiftet. Die schreibende Rebellin fasst zusammen: "Gelegentlich muss man extrem werden im Leben - wenn man nicht im eigenen Blut verdicken will."