Chemnitz – Mommsen: Was könnte das bedeuten? Ist das ein Verb aus der Umgangssprache: wie mampfen, mausen, muffeln? Oder Eucken: Das könnte eine Stadt sein, vielleicht in Schleswig-Holstein? Alles falsch. Um längst tote, indes einst im öffentlichen Leben stehende Persönlichkeiten handelt es sich, um Weltprominenz aus Deutschland sogar: Mit dem Literaturnobelpreis wurden die Herren geehrt, der eine als Verfasser monumental-vielbändiger Geschichtswerke, der andere als idealistischer Philosoph. Und allerdings ist, wie die Koryphäen selbst, auch ihr Glanz verblichen. Also bürgt noch nicht einmal der Ruhm, den begehrtesten Lorbeer vom Kampfplatz der Weltliteratur davongetragen zu haben, für ewiges Gedächtnis.

An 104 Schriftstellerinnen und, vor allem, Schriftsteller ging die Auszeichnung bislang. Zwölf von ihnen schrieben oder schreiben in deutscher Sprache: keine üble Quote. Eine Ausstellung in Chemnitz stellt sie nun nebeneinander, die Lebenden zu den Toten, die Versunkenen neben die Präsenten. Dabei gibt die Liste eine Ahnung vom sich wandelnden Verständnis des Preises und von den Fragwürdigkeiten bei seiner Vergabe.

Seine Geschichte ist eine voller vergessener Gesichter. Neben Theodor Mommsen (1902) und Rudolf Eucken (1908) finden sich in den Anfangsjahrzehnten auf der Ehrentafel auch der gutbürgerlich-klassizistische Novellist Paul Heyse (1910), ebenso, als einziger gebürtiger Schweizer, der Epiker Carl Spitteler (1919) – an sie hält sich keine breite Leserschaft mehr. Schwer fassbar aus heutiger Sicht, dass Tolstoi und Ibsen, Zola oder Joyce leer ausgingen.

Einer konservativ-hochkultivierten Sphäre ordnete die Nobel-Jury Thomas Mann zu, Vertreter einer Großschriftstellerei, zu der, als der Dichter den Preis 1929 erhielt, längst auch Gerhart Hauptmann gehörte; ihm wurde die Ehrung bereits 1912 für seine „fruchtbare, vielseitige“ Dramenkunst zuteil. Anders Hermann Hesse (1946): Von Geburt Deutscher, dem Selbstverständnis nach übernational, lebte er in der neutralen Schweiz; im ersten Nachkriegsjahr schien er nicht nur durch „Höhe des Stils“, auch mit seinem „klassischen Humanismus“zum Vorbild berufen.

Einen Internationalisten deutscher Zunge ehrte die Schwedische Akademie wiederum 1981 mit dem in Bulgarien geborenen, lange in London lebenden Elias Canetti; die eigene weitläufige Lebensgeschichte brachte er mit vielerlei Weltgeschehnissen zur Deckung. Politisches Engagement würdigte das Auswahlgremium, indem es Heinrich Böll (1972) und Günter Grass kürte; Letzterer habe, rühmte es 1999, „in munter schwarzen Fabeln das vergessene Gesicht der Geschichte gezeichnet“.

Unverdient spielen die elf Frauen der Liste eine Nebenrolle. Unter den deutschen Preisträgern sind immerhin zwei Damen – im Vergleich keine üble Quote –: die nach Schweden emigrierte Jüdin Nelly Sachs (1966), die den Holocaust lyrisch zu bewältigen suchte; und Elfriede Jelinek. Sie ließ sich Österreichs ersten Literaturnobelpreis zuschicken und sorgte überhaupt durch Geringschätzung für Unmut.

Auch nährt sich an ihr der Vorwurf der Kritiker, der Preis, am häufigsten Europäern und Nordamerikanern verliehen, vermesse die literarische Welt mit ungleichem Maß. Tatsächlich lässt sich leicht denken, dass ambitionierte Autoren Asiens, Lateinamerikas, Afrikas mit Jelineks Namen wenig verbinden, schon gar nicht die Lust, sich an ihr, der kulturell und geistig denkbar Fernen, ein Beispiel zu nehmen.