Rehau/Bamberg/Berlin - Viel Empörung über einen kurzen Text: Ein Gedicht des konkreten Poeten Eugen Gomringer soll von der Wand einer Berliner Hochschule verschwinden - weil es nach Ansicht des Allgemeinen Studierendenausschusses (Asta) Frauen herabwürdigt. Soll das ein Witz sein? Oder wie sexistisch kann ein Gedicht von 20 Worten sein? Das fragten wir Nora Gomringer (37), Bachmann-Preisträgerin, Chefin der Villa Concordia in Bamberg und Tochter des Rehauer Dichters Eugen Gomringer (92).


Ein Gedicht und seine Folgen

Das Gedicht im Wortlaut:

"avenidas/ avenidas y flores /

flores / flores y mujeres /

avenidas / avenidas y mujeres / avenidas y flores y mujeres y / un admirador"

Auf Deutsch in etwa: "Alleen / Alleen und Blumen / Blumen/Blumen und Frauen / Alleen / Alleen und Frauen /Alleen und Blumen und Frauen und /ein Bewunderer".

Die AStA sieht darin Zusammenhänge, die "eher alt und zugleich doch erschreckend aktuell" seien: "Ein Mann, der auf die Straßen schaut und Blumen und Frauen bewundert. Dieses Gedicht reproduziert nicht nur eine klassische patriarchale Kunsttradition, in der Frauen ausschließlich die schönen Musen sind, die männliche Künstler zu kreativen Taten inspirieren, es erinnert zudem unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen alltäglich ausgesetzt sind." Der Link zum offenen Brief der AStA der Alice-Salomon-Hochschule: www.asta.asfh-berlin.de/de/News/offener-brief-gegen-gedicht-an-der-hochschulfassade.html

Haben Sie herausgefunden, ob es sich bei der Kritik der Asta der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin um einen Scherz handelt?

Nein. Es scheint sich nicht um einen Scherz zu handeln. Es ist mal nicht "Viel Lärm um nichts", sondern "Lärm" um ein Gedicht, dessen Grundperspektive in eine konsequent ignorante Richtung verstanden werden will.

Früher war die Jugend mal rebellisch. Diese Kritik an Sexismus hört sich aber sehr spießig an - oder ist Political Correctness die neue Rebellion?

Jede Generation sucht sich ihre Kämpfe, ihre Schlachtfelder. Sexismus ist eine leicht geäußerte Anklage, gerade an einen Text, der sich nicht wehren kann und nur für sich steht, sich uneindeutig-eindeutig verhält. Political Correctness ist eine Bewegung, die aus dem Wunsch entstanden ist, Gerechtigkeit und Inklusion in der Sprache zu reflektieren. Wie könnte ich nicht dafür sein? Wie alle Bewegungen aber, die sich aus Sensibilitäten speisen, kann auch sie Hypersensibilität zum Opfer fallen. Augen auf ist immer gut, Augen auf mit hochgetapeten Augenlidern ... das kennen wir aus "A Clockwork Orange", das lässt Gespenster sehen. Überall.

Selten ist in jüngster Zeit von einem ernst gemeinten Gedicht so viel gesprochen worden wie von diesem. Wie waren die Reaktionen in Ihrem Bekanntenkreis?

Mein direkter Bekanntenkreis hat das nicht mitbekommen. Ich habe nicht so viele Freunde, die sich für Literatur interessieren. Via Facebook ist viel passiert. Vor allem, als ich mein "Gedicht Polizei Gom Ringer"- Video gepostet habe vor ein paar Tagen, ist das Ganze ziemlich explodiert. Für die "Welt" habe ich 10 000 Zeichen geliefert, das Literaturportal Bayern hat mich befragt - auf einmal bin ich die Ritterin meines Vaters oder besser: des Werks des Vaters, stoppe meine eigene Arbeit, um hier Stellung zu nehmen.

Was können Sie zum Hintergrund des Gedichtes sagen?

Eugen Gomringer hat es 1953 veröffentlicht. Es ist ein Kerntext der Konkreten Poesie und beschreibt als "konstellation" - wie Gomringer diesen Gedichttypus nennt - eine Straßenszene auf den Ramblas in Barcelona. Mein Vater spricht Spanisch, was die Sprache seiner Mutter in Bolivien war, Deutsch, was die Sprache seines Schweizer Vaters war und außerdem noch Französisch und Englisch. Er dichtet nicht sexistisch. Die gesamte konkrete Poesie basiert ja eher auf dem Gedanken der Gefühls- und Reflexferne. Es geht um sprachliche Formen, die möglichst schlüssige und effektvolle, dabei aber gezielte Auswahl des verwendeten Sprachmaterials. Wenn der kp ( der konkreten Poesie, Anm. der Red. ) etwas vorgeworfen werden kann, ist es eher eine gewisse "Blutarmut", nicht ein Übermaß an Puls.

Alleen, Blumen, Frauen, ein Bewunderer: Wo könnte da eine patriarchalische Ordnung zu erkennen sein?

Hier liest jemand mit einem unheimlichen Verschwörungsgefühl in der Magengrube ein Gedicht. Ich habe in den letzten Tagen oft darüber nachgedacht, welches Wort dieses Mulmigkeitsgefühl der Mitglieder des Asta wirklich für mich bestätigt. "Voyeur" oder "Beobachter" hätten einen stark sexualisierten Beigeschmack. "Bewunderer" - egal ob männlich oder weiblich - finde ich elegant. Es klingt nach "aus der Ferne" und "wertschätzend". Wie man einen Stalker oder gar potenziellen Angreifer draus liest, weiß ich nicht.

Was sagt es über die Qualität einer Hochschule aus, wenn eine Asta mit so einem Vorschlag Gehör findet?

Zunächst mal sollen studentische Foren und Gruppen sich ja an ihren Hochschulen zu Wort melden. Es ist dann an der Hochschulleitung, eine Entscheidung zu treffen beziehungsweise für einen Dialog zu sorgen. Das geschieht gerade alles. Ich hoffe, es geht gut aus für den Text auf der Wand.

Ist der Kampf gegen Sexismus auch in der Kunst überhaupt sinnvoll? Es gilt die Freiheit der Kunst ...

"Der Kampf gegen Sexismus" ist immer sinnvoll da, wo Rechte von Frauen und Männern beschnitten und Kontaktpunkte zwischen Einzelnen und Gruppen ausgenutzt werden. "Avenidas" ist kein Gedicht, vor dem man Leser schützen müsste. Vielleicht naiv gehe ich davon aus, dass es mehr Kunst gibt, die sich gegen Sexismus ausspricht, als solche, die ihn als Stilmittel anwendet ... obwohl. Ich war vor ein paar Jahren Mitglied der Jury zum Hexenmahnmal in Bamberg. Wie viele männliche Künstler da gemäß ihren eingereichten Entwürfen gefesselte halb oder ganz nackte Holzbildnisse von Frauen mit Supermodelmaßen an Pfähle anbinden wollten, war schon mehr als beunruhigend. Man muss sich fragen, ob ein Gedicht wie Goethes "Heideröslein", das so verhüllt wie offensichtlich die Absicht einer gewaltsamen Entjungferung beschreibt, unter dem Aspekt der Political Correctness noch in ein Schulbuch gehört.

Political Correctness bis zum Lächerlichsten auf der einen, Rumpöbeln auf der anderen Seite: Was heißt das für das geistige Klima in Deutschland und Europa?

Wir sind aufs Höchste alarmiert, und wir büßen daran unseren Humor und unsere Güte füreinander ein. Das geistige Klima in Deutschland ist schon okay. In Berlin, Frankfurt, Hamburg läuft man rum und hat schon verstanden, dass die Tendenz "Inklusion" heißen muss. Dass die am besten gelingt, wenn Frauen und Männer auch in binären Codes miteinander funken dürfen, ist doch klar. Oder?

Was raten Sie dem Asta der Berliner Hochschule?

Aufschreien muss der Asta, wenn in seinen Reihen junge Muslima zwangsverheiratet werden, Studierende miese Bedingungen vorfinden, Professoren sich nie kümmern, nicht ansprechbar sind. Dieses Gedicht ist nicht ihr Problem, geht es um einen Sexismus-Vorwurf. Dass man sich hintergangen fühlt und wie die 13. Fee klagt, nicht gefragt worden zu sein, als es um die Wandgestaltung ging vor sechs Jahren? Oh, Buhuuu. Im Ernst?

Das Interview führte

Michael Weise