Legenden lügen nicht; sie verfahren nur freizügig mit der Wirklichkeit, gesteigerter Anschaulichkeit wegen. So wird vom kleinen Fritz Schiller berichtet, er habe schon mit sechs und sieben Jahren, als er neben dem Elementarschulstoff sogar Latein und Griechisch lernte, einen Stuhl wie eine Kanzel bestiegen. "Mutter oder Schwester mussten ihm eine schwarze Schürze umbinden und ein Käppchen aufsetzen." So gab er, mit tiefem Ernst, im Elternhaus den Pfarrer. Seine "kindischen Vorträge hatten immer einen richtigen Sinn"; die Form theologischer Textauslegung kannte er vom Kirchenbesuch.

Im Dorf Lorch bei Schwäbisch Gmünd nahm sich damals der Pfarrer Philipp Ulrich Moser des begabten Jungen an. Er tat dies so mitmenschlich, dass der stürmisch-drängende Dichter ihm später, in seinen "Räubern", mit einem Pfarrherrn selben Namens ein literarisches Denkmal setzte.

Legenden? Immerhin überlieferte Christophine, die ältere Schwester des nachmaligen Nationalgenies, die Predigt-Anekdote aus eigener Anschauung. Auch als der knabenfromme Fritz zum jugendlichen Friedrich herangewachsen war, schien die Berufung zum Poeten noch nicht ausgemacht. Lange war ihm das geistliche Amt bestimmt. Die Spiritualität hierzu kam hauptsächlich von der Mutter Dorothea her, die ihn heute vor 250 Jahren im württembergischen Neckar-Städtchen Marbach als zweites Kind zur Welt gebracht hatte. Eine "anspruchslose, aber verständige und gutmütige Hausfrau" - ihre warmherzigen Empfindungen widmete sie, die es mit dem Pietismus hielt, ganz der Gatten- und Gottgefälligkeit.

Als empfindsam galt Friedrich, als anfällig und verletzlich. An Kinderkrankheiten litt er wiederholt schwer. Verzärteln indes wollten ihn weder die prügelnden Dorfschulmeister - noch sein Erzeuger, Christoph Schiller, ein an karge Militärlager und entbehrungsreiche Feldzüge gewöhnter Offizier und Feldscher (Wundarzt).

Vater I - der leibliche Vater

Wie ein Patriarch regierte Johann Caspar Schiller über die Familie. Als jähzornig und aufbrausend beschreiben Zeitzeugen sein Naturell; zugleich, heißt es, habe er, wiewohl "einfach und ohne vielseitige Ausbildung", einen auffallenden Wissensehrgeiz an den Tag gelegt. Zeitweilig lebten er und die Familie nur sporadisch zusammen; Mutter Dorothea, um den Gemahl wenigstens wochenweise zu sehen, reiste ihm strapaziös zu Biwaks und Garnisonen nach. Den Kindern verlangte er unbedingten Gehorsam ab; hart bestrafte er Auflehnung, teils mit Züchtigungen. An ehrfürchtig bewundernder Liebe ließ es Friedrich gleichwohl nicht fehlen. Genau besah sich der Vater - der auch seine innigen Seiten hatte - die Hausaufgaben seines Jungen und gab ihm seinerseits Arbeiten auf: Für den Sohn schwebte ihm eine Bildung vor, die ihm selber versagt blieb.

Vater II - der Landesvater

In der Lateinschule in Ludwigsburg fiel Friedrich durch erstklassige Noten auf, so dass sich der württembergische Herzog Carl Eugen, ein Prunk- und Lustmensch, zugleich Bildungsreformer, für ihn interessierte. Selbstherrlich durchkreuzte er die Pläne der Familie: Nicht Pfarrer sollte Friedrich werden; vielmehr zwang der Regent die Eltern, den Sohn der "Militär-Pflanzschule" auf der Solitude nahe Stuttgart abzutreten. Zunächst Juristerei, später, nach dem Umzug der Lehranstalt nach Stuttgart und ihrer Aufwertung zur Universität, Medizin musste er studieren.

Ein freudloses Dasein führten die Eleven: Freizeit, Ferien gar sah der Tages- und Jahreslauf kaum vor. In aller Früh schon regierte geistloser Drill, wenn die Insassen aufstehen und aufs Akribischste die Uniform, die Zopfperücke anlegen mussten. Mit der Körperpflege nahm es Schiller nicht sehr genau - was wohl weniger auf Schlampigkeit deutet als auf stillen Protest. Denn das Zwangssystem zwischen endlosen Unterrichtsstunden, Exerzier-Reglement, Rutenschlägen stellte extreme Zumutungen an seinen nach Ungebundenheit drängenden Sinn.

In etwas Unerwünschtem und Verbotenem fanden er und einige Freunde den Ausweg - in der Poesie: "Leidenschaft für die Dichtkunst ist feurig und stark, wie die erste Liebe." Verse entstanden, die Rohfassung eines Trauerspiels. Und dann: "Die Räuber" - in hitzköpfig auffahrenden Worten eine umstürzlerische Familiengeschichte um Vaterkonflikt und Bruderhass, unverhohlen in tyrannos agitierend: gegen die Gewaltherrscher, für das freie Individuum.

Heimlich des Nachts, beim Schein eines Kerzenstumpens, schrieb er den furiosen Erstling nieder. Auf eigene Kosten ließ er ihn drucken, bevor in Mannheim der berühmte Intendant Wolfgang Heribert von Dalberg ihn der Inszenierung am Nationaltheater für würdig befand. Die Uraufführung, am 13. Januar 1782 mit dem großen August Wilhelm Iffland in der Hauptrolle, geriet zum Fanal: "Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, heisere Aufschreie im Zuschauerraum ..."

Zwei Mal reiste Schiller unerlaubt zu Aufführungen an die damals führende Schaubühne im Lande; vierzehn Tage Arrest nahm er dafür in Kauf. Schließlich belegte ihn sein Fürst mit Schreibverbot. Denn die Schweiz hatte sich bei Carl Eugen über seinen frechen Zögling beschwert: nennt der doch im Stück Graubünden "das Athen der heutigen Gauner". Unerträglich nahm der Druck zu. Da zogen Schiller und sein Freund Johann Andreas Streicher die Mittellosigkeit der Repression vor: Ein rauschendes Fest des Hofes nutzten sie, um unter Decknamen unerkannt aus Stuttgart zu entweichen.

Vater III - Schiller als Vater

Von der harten Erziehung daheim und in der Kaserne ließ er die eigenen Sprösslinge hernach nichts merken. "Schiller hat seine Kinder gewiss so lieb, wie nur die zärtlichste Mutter lieben kann", versicherte der Pate seiner Tochter Emilie. Selbst von Krankheiten gepeinigt, sorgte er sich sehr um die Gesundheit seiner Kleinen. Gerührt erzählten Besucher der Weimarer Dichterfamilie, wie der allseits verherrlichte Genius sich spielend auf den Fußboden niederließ und geduldig mancherlei Schabernack ertrug. Die Erinnerung an seine "traurige düstere Jugend" wog er wohl so mit einem Quäntchen besonnten Familienidylls auf.