Was passiert, wenn sich eine Expertin für das europäische Mittelalter auf die fiktive Welt von "Game of Thrones" stürzt? Oxford-Literatur-Professorin Carolyne Larrington hat genau das getan und ihre Erkenntnisse in "Winter is coming - Die mittelalterliche Welt von Game of Thrones" zu einem fesselnden Reiseführer gebündelt. Puzzleteilchen für Puzzleteilchen legt die Autorin dar, dass kaum etwas, das in G.R.R. Martins "Lied von Eis und Feuer" passiert, nicht auch im alten England hätte geschehen sein können.

Auf im Vergleich zu Martins Romanen lächerlichen rund 300 Seiten findet sie Parallelen zwischen den riesigen Schattenwölfen aus dem ersten Band und dem bösen Wolf aus dem Märchen, vergleicht die blutige "Rote Hochzeit" aus Staffel drei mit Massakern wie dem "Black Dinner" von 1440 und stellt fest, dass der R'hllor-Kult viel mit dem der Katharer aus Südfrankreich gemein hat. Kurzum: Sie zeigt, dass es für das fantastische Universum, das Fans der Buchreihe gerne als "Die bekannte Welt" bezeichnen, auch neben den naheliegenden altenglischen Rosenkriegen noch viele Vorbilder gibt.

Was "Winter is coming" besonders macht, ist der Erzählstil seiner Autorin. Die Oxford-Professorin schreibt mit genauso viel Liebe und Begeisterung über die fiktiven Starks und Lennisters wie über die historischen Yorks und Lancasters, Eleonore von Aquitanien entfacht in ihr das gleiche Feuer wie Daenerys Sturmtochter. Selbst in ihren Zitaten und Quellenangaben - fein säuberlich getrennt zwischen Serie und Buch - erweist sie dem Fantasy-Epos denselben Respekt wie einem mittelalterlichen Manuskript.

Ihr Buch gliedert sie eher wie einen Reiseführer nach Orten und Themen, statt sich mit der Erzählstruktur der Geschichten aufzuhalten. Das wäre aber ohnehin problematisch, da die Serie Staffel für Staffel ihrer Romanvorlage immer weiter enteilt. Der angeblich mit einer Schreibblockade geschlagene Autor Martin bleibt die zwei finalen Bände seiner Reihe weiter schuldig, während die Serienmacher David Benioff und Dan Weiss die Handlung Jahr für Jahr vorantreiben und längst andere Schwerpunkte setzen. Aber auch für deren Arbeit findet Larrington genug Vorbilder in den Bibliotheken und Archiven der Welt, um am Ende ihres Buches sogar eine Voraussage zu wagen. Denn wer weiß, wie die Geschichten ausgehen, die für die sieben Königslande Pate standen, der hat auch eine Ahnung davon, wie die Geschichte dort enden könnte. Und Larrington ist sich sicher: Im großen Finale werden sich Buch und Serie mächtig unterscheiden.

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Carolyne Larrington, "Winter is coming", Theiss Verlag, 320 Seiten, TB, 19,95 .