Kulmbach - Licht aus, Spot an. Oder doch besser den Spot gleich wieder aus. Hellmuth Karasek, Journalist und Schriftsteller, möchte während seiner Lesung in der Kulmbacher Buchhandlung Rupprecht keinesfalls geblendet werden. So muss der Strahl des Scheinwerfers von der Bühne genommen und neu ausgerichtet werden. Karasek erklärt auch gleich warum: In diesem "intimsten Miteinander" zwischen Autor und Leser soll keine künstliche Barriere stören. "Ich will alles sehenden Auges erleben." Deshalb verlangt der ehemalige Leiter des Kulturressorts des Spiegels Wohlwollen, Bereitschaft und Entgegenkommen.

Der bekannte Literaturkritiker - immerhin schon fast 80-jährig - ist hellwach und gespannt auf sein Publikum. Er genießt augenfällig den Kontakt zu seinen Zuhörern. Und die Interaktion. Anders als mit dieser Leidenschaft, sich dem Publikum zu stellen, ist es wohl auch nicht zu erklären, dass Karasek sich in seinem fortgeschrittenen Alter noch den Strapazen einer Lesereise quer durch Deutschland aussetzt. Dazu kommt noch ein Schuss Neugierde. Aus dieser speist sich seine jüngste Veröffentlichung "Auf Reisen. Wie ich mir Deutschland erlesen habe" (Hoffmann und Campe, 17,99 Euro). Darin schildert er seiner Erlebnisse bei Lesungen in der gesamten Republik.

Dem studierten Germanisten fallen da natürlich sofort die sprachlichen Unterschiede auf. "Reisen in Deutschland bedeutet immer auch eine Reise zu Sprachen und Dialekten", setzt Karasek an - und lässt eine Reihe von Anekdoten folgen. Spätestens mit den ersten Witzen über das Sächsische oder Hessische hat Karasek das Publikum auf seiner Seite. Bei seinen Lesungen darf nämlich vor allem eins: herzlich gelacht werden.

Apropos Dialekte: "Das Schaffner-Englisch ist derzeit die beliebteste deutsche Mundart", will Karasek beobachtet haben. Da er zu den meisten seiner Auftritte mit der Bahn reist, stehen die Zugbegleiter im Fokus seiner Betrachtungen. Eines jener außergewöhnlichen Exemplare hielt Karasek sogar für Günter Grass. Die Auflösung des Fehlers machte es aber auch nicht besser. Der Schaffner erkannte ihn und fragte den "Herrn Kasarek" dann nach einem Autogramm. "Von da an bis zur Ankunft blickten der Schaffner und ich jedes Mal zur Seite, wenn wir uns im Gang begegneten. So wie zwei Menschen es versuchen, die sich etwas Unangenehmes zugemutet oder gar angetan haben."

Doch in seinem Urteil ist Karasek trotzdem milde. "Menschsein heißt Fehler machen." Irrtümer, von denen er als Glossenschreiber lebt. Das Leben schreibt also die besten Glossen? Karasek entgegnet: "Der Haken daran ist, dass das Leben nicht schreiben kann. Es kann nur leben. Das ist die Chance für uns Schreiber, das Leben abzuschreiben."

Natürlich kommt Karasek bei seiner Lesung nicht umhin, an den kürzlich verstorbenen Marcel Reich-Ranicki zu erinnern. Gemeinsam besprachen sie im Literarischen Quartett die aktuelle Literatur. Eine Episode ist Karasek im Gedächtnis geblieben: eine Aufzeichnung beim ORF in Salzburg. Mitten im heißen Sommer setzte Reich-Ranicki - wie ein "Kontrolleur im Schlafsaal" (Karasek) - unter einer geöffneten Kuppe gerade zu einem seiner gefürchteten Verrisse an, als dunkle Wolken über dem Studio aufzogen. "MRR" hob beide Hände beschwörend nach oben: "Darf man denn nicht einmal mehr Walser verreißen."

Von diesen Anekdoten lebt Karaseks Lesung. Auch ganz ohne Scheinwerferlicht.