Gut so! Schon vor rund 90 Jahren machte einer der bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik eine ganz ähnliche, wenn auch nicht so endgültige Erfahrung: Kurt Tucholsky. Zwar ermordeten das für seine Aufklärungsversuche taube deutsche Volk und, Anfang der Dreißigerjahre, die Nationalsozialisten bei den Bücherverbrennungen nicht den Menschen; wohl aber den Schriftsteller; den Autor wohlgesetzter, unbequemer Worte ("Soldaten sind Mörder") und beißender Satire. Als Deutschland immer brauner wurde, hatte der Journalist und Weltkriegssoldat, der 25 Jahre lang gegen Kriegshetzerei angeschrieben hatte und sich selbst als "Pazifist schärfster Richtung" bezeichnete, längst resigniert und lebte in Schweden. Geboren wurde Tucholsky heute vor 125 Jahren als Sohn eines Berliner Kaufmanns. Der geliebte Vater starb früh, mit der Mutter verband ihn wenig. Heutige Tucholsky-Forscher sehen in der schwierigen Beziehung zur Mutter den Grund, dass der erwachsene Sohn keine Beziehung zu einer Frau aufbauen konnte; im Gegenteil: Neben zwei Ehefrauen hatte er immer noch mehrere Geliebte. Seine erste Frau, Else Weil, wird zitiert: "Als ich über die Damen wegsteigen musste, um in mein Bett zu kommen, ließ ich mich scheiden." Wesentlich erfolgreicher war der promovierte Jurist Tucholsky als Journalist und Schriftsteller: Mit 22 bescherte ihm die Erzählung "Rheinsberg" den literarischen Durchbruch, ein großer Erfolg wurde 1931 auch "Schloss Gripsholm". Dazwischen entwickelte er sich zu einem Meister der literarischen Kleinformen; unter vier Pseudonymen, darunter "Kaspar Hauser", und unter seinem eigenen Namen schrieb er politische, satirische, Lied- und Kabarett-Texte, Gedichte sowie Buch-, Film- und Musik-Kritiken. In fast 100 Publikationen veröffentlichte er mehr als 3000 Artikel. Kurt Tucholsky starb 45-jährig am 21. Dezember 1935 nach einer Überdosis Tabletten. Die These, dass es Selbstmord gewesen sei, wird inzwischen angezweifelt.