Wer "Mannsbild" sagt, denkt eher ans Publikum in Dorfwirtshaus oder Muckibude als im Künstleratelier. "Meist abwertend, selten bewundernd", so steht's im Wörterbuch, werde das Wort gebraucht. Denn "ein Mannsbild ist keinen Groschen wert, und wenn's einen Taler im Maul hat", wie das alte Sprichwort volkstümlich kommentiert.

Gabrielle Thuller denkt anders. "Faszinierende Männer" hat sie gesammelt und, für den Belser-Verlag, zu einem wunderbaren Album meist beeindruckender, gelegentlich liebenswürdig unzulänglicher "Mannsbilder" arrangiert.

Mit der berühmten Proportionsfigur Leonardos und einem metallic-türkis gewandeten Beau der Tamara de Lempicka beginnt, fast viereinhalb Jahrhunderte überspannend, das spektakuläre Schaulaufen. Und gleich das erste der sechs Kapitel führt in medias res: zum "erotischen Mann". Der kann sich in der privaten Aktstudie eines Albrecht Dürer - mit gleichermaßen sorgsam ausgearbeitetem Gesicht und Gemächt - ebenso offenbaren wie in einem nackten "Patroklos", der seine Vorderfront vom Betrachter wegwendet und sich dafür durch die durchtrainierte Rückseite - und das rote Tuch, auf dem er kauert - als "Symbol von Kraft und Herrlichkeit" zu erkennen gibt.

So jedenfalls, so unwiderleglich, deutet die Autorin die Arbeit von Jacques-Louis David. Überall wird Gabrielle Thuller fündig, beim vor Selbstgefühl "lachenden Kavalier" des Frans Hals wie bei anderen großen Niederländern, bei Carl Spitzwegs "Bücherwurm" wie bei den Impressionisten, in der Propagandamalerei eines Otto Grieben ("Die Internationale", 1928/29), unter Gustave Caillebottes schweißtreibend malochenden "Parkettschleifern" (1876) wie unter gekrönten Häuptern (Hyacinthe Rigaud, "Bildnis Ludwig XIV", 1701), unter Künstlern und Gelehrten wie unter Biederbürgern, die "Hausgemachte Pasta" zubereiten (John Currin, 1999).

Mithin kommen Männer vieler Alters-, Berufs- und Gesellschaftsgruppen, aus ganz unterschiedlichen Jahrhunderten und Ländern einander nah. Sachverständig, auch mit Humor beschreibt und deutet die Autorin die von ihr ausgewählten Prachtstücke, die sich sämtlich in angemessener Größe und exquisiten Reproduktionen präsentieren und somit vom Leser selber lang und anregend betrachten lassen. Angesichts der "Vorherrschaft weiblicher Bildnisse in der Welt der Kunstgeschichte", meint Gabrielle Thuller, sei es an der Zeit, dass endlich einmal "der Mann als Objekt künstlerischen Schaffens in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt wird". Ihr Kunstbuch ist eine körperliche Wohltat: Diese Frau - das schreibt ein Mann - kann uns leiden. Michael Thumser

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Gabrielle Thuller: Mannsbilder. Belser-Verlag, 128 Seiten, gebunden, 29,95 Euro.