Protestakt eines unverfrorenen Gesellschaftssatirikers? Oder einfach humorlose Spielverderberei? Während das TV-Publikum, atemlos vor Spannung, 1962 den Folgen des Durbridge-Krimis „Das Halstuch“ folgte, schaltete Wolfgang Neuss im Berliner Abend eine Zeitungsannonce, worin er verriet, wer sich am Ende als Mörder entpuppt. Knapp 800 Mark ließ sich der berüchtigte Kabarettist den Spaß kosten; damals viel Geld. Doch die Ausgabe lohnte sich: Mokant freute sich Neuss alsbald über Attacken von allen Seiten, Todesdrohungen und jede Menge Medieninteresse. Ohne sich um Glaubwürdigkeit zu scheren, gab er vor, die Kinos unterstützen zu wollen. Deren Betreiber hatten wirklich Grund zu bitterer Klage: Wenn einer der legendären, stets prominent besetzten Mehrteiler über die Mattscheiben flimmerte, verödeten Lichtspiel- und andere Theater, Kneipen und sonstige Treffpunkte des öffentlichen Lebens. Wie „Das Halstuch“ taugten „Melissa“ oder „Das Messer“ (mit Hardy Krüger, der morgen achtzig wird) zu Straßenfegern. Heute vor zehn Jahren starb, 85-jährig in London, der Krimi-Autor Francis Durbridge, der so prominente Figuren wie Paul Temple und Tim Frazier ersann und in seiner britischen Heimat zunächst mit Radioserien durchschlagenden Publikumserfolg verbuchte. Ohne seine bildschirmgerechten Pioniertaten wären hier zu Lande Fernsehautoren wie Herbert Reinecker, Serien wie „Derrick“ oder „Tatort“ schwerlich denkbar. Während der Hausse seiner Krimis verweigerten deutsche Industriearbeiter die Spätschicht und verschob der Hamburger Senat sogar eine Sitzung, um beim Fortgang der Mordgeschichte dabei sein zu können. Vom englischen Vorbild lernte nicht nur das deutsche Fernsehen begierig, auch hiesige Kapitalverbrecher nahmen die Anregungen beflissen auf: So hatten sich nach der Ausstrahlung des „Halstuchs“ Mordkommissionen mit Tötungsdelikten auseinander zu setzen, bei denen weiche Gewebe dafür gesorgt hatten, dass den Opfern der Atem verging.