Was ist hässlich? Eine Frage, deren Beantwortung sich schnell als kompliziert erweist. Hässlichkeit stellt sich viel zu komplex dar, um bloß als das „Gegenteil von Schönheit“ begriffen zu werden. Solcherart Diffiziles bot offenbar Herausgeber Umberto Eco genügend Anreiz, um nach seinem ersten Kompendium, das sich mit der Schönheit beschäftigte und mit Lob überhäuft wurde, nun mit „Die Geschichte der Hässlichkeit“ nachzulegen. Ein Werk, das in seiner überbordenden Vielfalt aus dem Stand ein Klassiker geworden ist – und ein Lieblingsbuch dazu.

Umberto Eco, Professor für Semiotik, Kunstphilosoph und Schriftsteller von Weltruhm („Der Name der Rose“, „Das Foucaultsche Pendel“, „Baudolino“), unterscheidet in seinen ausgiebigen Betrachtungen das Hässliche an sich (Kot, Gewürm, Eiter), das formal Hässliche (das Ungleichgewicht in der Beziehung zwischen den Teilen und dem Ganzen) und die künstlerische Darstellung dieser beiden Säulen der Hässlichkeit. Nur so gelingt es ihm, seinem schwierigen Thema überhaupt Strukturen zu verpassen. Zu Ehren kommen in dem knapp 500 Seiten starken Buch die Protagonisten des Hässlichen aus vielen Zeitaltern, von der Antike bis zu unserem Jahrtausend – Maler, Bildhauer, Karikaturisten, Schriftsteller, Filmemacher: Hieronymus Bosch, Pieter Bruegel d. Ä., William Blake, Johann Heinrich Füssli, Charles Baudelaire, Howard Phillips Lovecraft, Edgar Allan Poe, Fernando Botero, George Grosz, John Waters.

Umberto Eco arbeitet überzeugend heraus, dass sich das Gesicht der Hässlichkeit im Laufe der Jahrhunderte wandelte und noch immer variiert. Er verweist darauf, dass das Hässliche stets nur im Verhältnis zu seiner Zeit gesehen und verstanden werden kann. (Lediglich ein, wenn auch prägnantes Beispiel: Die zu ihrer Zeit „schöne“ Helena, Tochter des Zeus und der Leda, dürfte ob unseres heutigen Schönheitsverständnisses ihr Attribut längst verloren haben.) Nachvollziehbarerweise ist es dem Herausgeber somit auch nicht möglich, eine wirkliche Typologie des Hässlichen aufzustellen. Nichtsdestotrotz fühlt man sich bei der Lektüre des Buches ins Thema förmlich hineingezogen, wächst der Erkenntnisgewinn mit jeder Seite – des Machers kompetenter Auswahl in Wort und Bild sei’s gedankt. Und so defiliert die Parade der Entstellten und Missgebildeten, der Monster und Ungeheuer, des Unheimlichen und des Kitschigen am Leser vorbei. Wir begegnen Drachen, Hexen, Chimären und Teufeln, erschrecken vor der Fratze der Armut, stöhnen über die hässliche Kehrseite industriellen Lebens. Den fortlaufenden Text begleiten eher knapp bemessene, jedoch äußerst treffende Wortbeiträge, größtenteils Zitate aus der Literatur, sowie ein geradezu überbordender Bilderreichtum.

Das opulente Werk stellt viel mehr dar als ein bloßes „Sachbuch“, eine Enzyklopädie, ein Kompendium. Mit „Die Geschichte der Hässlichkeit“ wird einem ein Kleinod an die Hand gegeben, welches man wieder und wieder aufschlägt, sich darin verliert und plötzlich feststellt: Das Hässliche, für sich betrachtet, besitzt keineswegs nur abstoßende, sondern durchaus auch faszinierende Seiten – ja: die Hässlichkeit wird schön.

Umberto Eco (Hg.): Die Geschichte der Hässlichkeit. Carl Hanser Verlag München, 456 Seiten, 39,90 Euro.