Wunsiedel - Über das silberne Büchlein streicht Edeltraut Lutz, sanft berührt sie die feine Struktur des Einbands. Erst dann blättert sie es auf. Es ist ihre Erklärung auf die Frage, wie man Dichterin wird. Seit ihrer Kindheit schreibt die 75-Jährige, die im Wunsiedler Ortsteil Bernstein lebt, Gedichte und Kurzgeschichten. Über 500 sind es inzwischen. Für Edeltraut Lutz hängt dieses kreative Schaffen zweifelsfrei mit dieser kleinen silberfarbigen Kladde zusammen, die sie 1946 von ihrer Mutter geschenkt bekam. "Sie sagte zu mir: Schreib darin alle deine Gedanken auf." Das erste Gedicht, das die Tochter in Schönschrift darin festhielt, handelte von einem Prinzen.

In einen Dialog mit dem kleinen Mädchen, das sie selbst einmal war, tritt Edeltraut Lutz jetzt in einem Lyrik-Bändchen. Soeben ist es unter dem Titel "Fragen an Worte" im Helmut-Seubert-Verlag in Nürnberg erschienen. Es ist ein Zusammenspiel von Naturlyrik, politischem Gedicht und minimalistischer Kurzprosa aus sechs Jahrzehnten - ein luftiger, vibrierender Lebensbogen. Herausgeberin ist ihre Tochter Dr. Cosima Lutz, eine Kulturjournalistin, die eine dichte und zugleich breit gefächerte Auswahl getroffen und ein Nachwort zum Werk ihrer Mutter verfasst hat.

Seit einigen Jahren schon trägt sich Edeltraut Lutz mit dem Gedanken, ein Buch mit ihren Gedichten zu veröffentlichen. Bisher ist sie Freunden anspruchsvoller wie leichtfüßiger Lyrik durch ihre regelmäßigen Veröffentlichungen in verschiedenen Tageszeitungen, unter anderem auch der Frankenpost, bekannt. "Die Resonanz der Leser war immer sehr groß. Viele haben mich auf meine Gedichte angesprochen, haben sich über meine Werke gefreut." Lesungen absolvierte die Wunsiedlerin oft ganz spontan im kleinen Kreis. Oder sie trug als Kunstschaffende bei einer Ausstellungseröffnung einige ihrer Verse vor. "Nun kann ein Teil meiner Gedichte auch nachgelesen werden", sagt sie ein wenig stolz und gibt gern zu, dass es Mut bedurft hat, das Büchlein zu machen.

"Meine Gedichte waren einfach da. Ich habe sie am frühen Morgen geschrieben, kurz vor dem Schlafengehen oder mitten in der Nacht. Wenn sie mir eingefallen sind, musste ich sie schnell notieren, damit sie nicht wieder verschwanden." Stets hatte Edeltraut Lutz, Mutter von sieben Kindern, auf ihrem Nachtkästchen einen Zettel liegen, um ihre Gedanken darauf festzuhalten. "Wenn ich meine Aufzeichnungen in der Früh dann durchgelesen habe, musste ich meist gar nichts mehr verändern." Die Wunsiedlerin, die viele Jahre den Beruf der Krankengymnastin ausübte, sagt von sich, sie habe nie "mit Vorsatz" Gedichte geschrieben. "Ich hatte dafür eigentlich gar keine Zeit, weil ich immer so viel gearbeitet habe." War dennoch wieder eines fertig, trug sie es nicht etwa feierlich vor, sondern sie sagte es ihrer Familie, mittags am Esstisch oder beim Abendbrot.

Die Natur inspiriert Edeltraut Lutz von jeher, schon als Kind hat sie alleine draußen Gänse und Ziegen gehütet und konnte dabei herrlich ihren Gedanken nachhängen. Viele Themen gewann sie aus ihrem Alltag, aus dem Nachdenken über ihre Lebenssituation. "Ich habe immer versucht, in meiner Lyrik Anschluss zu finden an meinem Ursprung." Eigenes Erleben floss auch in ihre Antikriegs-Gedichte ein, musste sie doch als Kind mit ihren Eltern im Zweiten Weltkrieg aus Schlesien flüchten. Dieses Geschehen hat sie bis heute geprägt. "Das eigene Erleben ist für das Schreiben bedeutsam, es ist immer der Auslöser. Worte kann man nur finden durch eine Empfindung", sagt die Dichterin. Poesie ist für sie der Zwischenraum zwischen den Bildern und dem Gesagten. "Sie soll uns etwas bedeuten in ihrer Zeichenhaftigkeit, wir sollen sie erschließen."

Brauchen die Menschen wieder mehr Gedichte? "Ja", antwortet die Verfasserin direkt. "Durch die vielen Wahrheiten, durch die unzähligen Informationen, die uns die Medien heute vermitteln, bekommen wir Angst und sind gefährdet in unserem Seelenfrieden." Edeltraut Lutz möchte die Schlichtheit der Lyrik dagegensetzen.

Edeltraut Lutz, "Fragen an Worte - Gedichte und Prosa", erschienen im Helmut-Seubert-Verlag, Nürnberg, 80 Seiten, 14,90 Euro.

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