Wiesbaden/Paris - Der berühmteste Liebhaber kehrt Deutschland den Rücken und wirft sich Paris in die Arme: Die französische Regierung hat der Wiesbadener Verlegerfamilie Brockhaus die Memoiren des legendären Frauen-Verführers Giacomo Casanova abgekauft. Es soll der teuerste Verkauf einer Handschrift überhaupt gewesen sein. Nach Schätzungen von Experten lag der Preis deutlich höher als 3,6 Millionen Euro, der bisherige Rekordpreis für eine Handschrift des französischen Autors André Breton.

"Ich wollte die Manuskripte der Öffentlichkeit zugänglich machen", sagte Hubertus Brockhaus bei der Unterzeichnung des Kaufvertrags gestern in Paris. Seit 1945 lagerte der literarische Schatz in einem Tresor der Deutschen Bank in Wiesbaden, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

"Die Geschichte der Manuskripte ist fast so abenteuerlich wie das Leben des Autors selbst", sagte der französische Kulturminister Frédéric Mitterrand. Casanova, der italienische Rumtreiber und Profi- Liebhaber, schrieb seine Lebensgeschichte auf einem Schloss in Böhmen, während in seiner zweiten Heimat Frankreich die Revolution tobte. Er schrieb auf Französisch und nicht auf Italienisch, "weil die französische Sprache weiter verbreitet ist als die meinige", wie er selbst bemerkte. Ein Neffe Casanovas verkaufte die 3700 Seiten später an die Familie Brockhaus in Leipzig.

"Als es im Zweiten Weltkrieg keine Autos mehr gab, ist mein Großvater mit den Manuskripten auf dem Fahrrad durch Leipzig gefahren", erzählt Hubertus Brockhaus heute. Die Sekretärin sei neben dem Fahrrad hergelaufen und habe die gestapelten Kisten mit den Manuskripten festgehalten. Als Dresden bombardiert wurde, befand sich die Handschrift glücklicherweise in einem Bunker.

Der Frankfurter Kunstberater Christoph Graf Douglas vermittelte schließlich den Verkauf nach Paris. Die französische Regierung konnte sich das "literarische Meisterwerk" nur leisten, weil sie einen anonymen Mäzen fand. Das einzige Exemplar der Handschrift soll 2011 in einer Ausstellung gezeigt und sobald wie möglich digitalisiert und in einer kritischen Ausgabe herausgebracht werden.

Bislang gibt es bereits etwa 500 Ausgaben der Casanova-Memoiren, doch die meisten sind stark zensiert oder überarbeitet. Verleger verschiedener Epochen haben allzu erotische Stellen gestrichen oder die "Italozismen" des gebürtigen Venezianers abgeschliffen. Erst 1960 brachten Brockhaus und der französische Verlag Plon eine originalgetreue Ausgabe heraus, die jedoch nicht die vielen Überarbeitungen des Autors berücksichtigt.

"Wir haben in Casanova allzu lange nur den Abenteurer und ausschweifenden Hedonisten gesehen", meint Mitterrand. Casanova sei aber in erster Linie einer der ganz großen Autoren der französischen Literatur des 18. Jahrhunderts, der ein "Werk voller Leben" hinterlassen habe.