Das Leben von Maud wird bestimmt von Notizzetteln. Sie hängen überall: In der Küche erinnern sie Maud daran, dass sie nichts kochen darf. Im Flur hängen Hinweise, keine Dosenpfirsiche mehr zu kaufen. Und immer wieder stößt sie auf Notizen, auf die sie "Elizabeth wird vermisst" geschrieben hat. Und immer wieder ist Maud sich sicher, dass ihrer Freundin Elizabeth wirklich etwas zugestoßen ist - nur möchte ihr niemand glauben.

Denn Maud hat Alzheimer. Obwohl sie vergisst, dass ihr Teewasser kocht und sie ihr Mittagessen nicht vor zwölf Uhr essen soll, weiß sie genau, dass sich Elizabeth schon einige Zeit nicht mehr gemeldet hat. Schließlich hat sie es sich ja überall notiert. Und so beginnt die sonst noch ziemlich rüstige Seniorin die Suche nach ihrer verschwundenen Freundin.

Mit ihren gerade mal 28 Jahren ist es Autorin Emma Healey gelungen, das ernste Thema Alzheimer mit viel Humor zu verarbeiten, ohne respektlos oder ulkig zu wirken. Ihren Debütroman "Elizabeth wird vermisst" widmete sie ihren beiden Großmüttern Vera Healey und Nancy Rowand, von denen eine tatsächlich an Alzheimer erkrankt ist. Mit dieser Inspiration schildert die junge Autorin erschreckend intensiv und sensibel Mauds Lebensweg, der von Glück und Schicksalsschlägen gleichermaßen gezeichnet ist.

Mit jeder Seite lernt der Leser Maud mehr und mehr kennen. Dabei sind es nicht nur Szenen aus ihrem Leben als demente Achtzigjährige, sondern man erfährt auch, wie Maud als junge Erwachsene gelebt hat. Während Mauds Gegenwart immer mehr zerfällt, erinnert sie sich aber umso besser an ihre Vergangenheit. Dabei passiert es Maud immer wieder, dass sie Erinnerungen aus vorherigen und jetzigem Leben vermischt. Der Leser kann meist noch folgen und über Mauds liebevolle Schusseligkeit lächeln. Trotzdem gibt es in dem Buch auch viele Gelegenheiten, über die Verletzlichkeit und Hilflosigkeit von Demenzkranken nachzudenken.

Es sind nämlich Szenen, die auch Angst machen können - vor dem Alter, der Krankheit Alzheimer: Wenn Maud beispielsweise ein Ei kocht, obwohl der Zettel sagt, dass sie nicht kochen darf. Ein Ei zubereiten könne man ja nicht wirklich als "kochen" bezeichnen. Und natürlich vergisst Maud dabei, das Gas auszudrehen. Oder als es regnet, während Maud auf der Suche nach Elizabeth ist und sie friert, weil die Tropfen ihre Kleidung und den Regenschirm durchweichen, der unbenutzt und zusammengefaltet an ihrem Handgelenk baumelt. Es sind Szenen, die einem wahrhaftig vor Augen führen, wie ein Mensch geistig abbauen und sich selbst verlieren kann.

"Elizabeth wird vermisst" zeigt den seelischen Zerfall einer alten Dame, die trotz ihres harten Alltags nicht verzweifelt. Im Lübbe-Verlag ist neben einer gebundenen und einer Taschenbuch-Ausgabe auch eine Audio-Version erschienen, die von Katharina Thalbach gelesen wird. Die 61-jährige Schauspielerin erzählt mit ihrer markanten und tiefen Stimme den Alltag aus Mauds Sicht. Ihre melodische und tiefe Stimmlage ist wie gemacht für den Charakter der Maud: verstörend, authentisch und stark.

-----

"Elizabeth wird vermisst" von Emma Healey; Bastei Lübbe Taschenbuch; 352 Seiten; 10,99 Euro; Lübbe Audio Hörbuch; ab 9,99 Euro.