Hof – 5000 Bücher hat das Jean-Paul-Gymnasium in Hof geschenkt bekommen und mit dem Schatz, einem Nachlass aus Nürnberg, für Schüler und Lehrer ein Lesekabinett eingerichtet. Das wäre ein Ort für Jean Paul gewesen, der in seinen Hofer Gymnasialjahren, 1779/80, in solcher Armut lebte, dass er sich kein Buch leisten konnte. Stattdessen verschlang er mit unersättlichem Lektürehunger alles, was ihm leihweise in die Finger kam; und schrieb sich eine ganze Bibliothek buchstäblich selbst.

Zwischen Wunsiedel und Joditz wuchs er heran und wird in Hochfranken als Nationalpoet verehrt, wenngleich wohl auch nicht häufiger als andernorts gelesen. Professor Dr. Peter Horst Neumann, der am Dienstag im Gymnasium einen aufschlussreichen Vortrag über den Dichter hielt, er weiß von der Region als dem Schauplatz einer Selbstfindung. In der „Selberlebensbeschreibung“ berichtet Jean Paul, wie ihm hier schlagartig als inneres Gesicht“ die Einsicht überfiel: „Ich bin ein Ich.“ Die „Inkubationsstunde seiner schriftstellerischen Existenz“ nennt Neumann jenen Augenblick.

Wer sich indes als Ich erfasst, verortet den Nebenmenschen als Du. Jenen Anderen fand Jean Paul alias Johann Paul Friedrich Richter in einem Bruder, der sich 1790 ertränkte; in einem Studienfreund, der am Hunger zu Grunde ging; im Bild des früh verstorbenen Vaters; in Gott. Der freilich war auch ein Gott zum Verzweifeln. Aus der berühmten, sprachgewaltigen „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei“ zitiert der Referent – der sich seinerseits als fesselnder Redner und glänzender Formulierer erweist – und beschreibt die apokalyptische Traumvision als Dokument eines fundamentalen Atheismus. Allerdings, ein Traum: Jean Paul erwacht daraus und kehrt erlöst zurück zu einem zustimmenden Glauben, der als dauerndes Bedürfnis gleichrangig neben der barschen Ablehnungsbereitschaft des Zweifels besteht.

So fühlte Jean Paul, nicht einer allein, sondern innerlich zwei zu sein. In etlichen Freundes- und Bruderpaaren seiner Dichtungen findet Peter Horst Neumann den Riss zwischen Ja und Nein, Ich und Du wieder – so in den „Flegeljahren“ von 1804/05. Zunächst und vordergründig erzählt der Roman die Geschichte einer kolossalen Erbschaft und der kuriosen Bedingungen, sie zu erwerben; da hatte es das Jean-Paul-Gymnasium mit seiner reichen Bücherspende deutlich leichter.

Walt und Vult heißen die Helden, zwei junge Männer in spiegelbildlichem Verhältnis zueinander, die sich als unvereinbare Zwillinge erkennen, die zusammengehören und auseinander streben, die dennoch gemeinsam einen Doppelroman schreiben – über das Herz mit seinen „zwei Kammern in einer Brust“ –; dasselbe Mädchen lieben die beiden und tauschen, um ihr Gefühl zu bekennen, beim Maskenfest die Rollen. Ein Wechselspiel mit Identitäten, Namen, Lebensläufen vollzieht der Referent nach und illustriert so das soziale Problem schlechthin: „Nur im Munde Gottes sind Ich und Du ein Wort.“

Ausdrücklich will Neumann den Appetit seiner Hörer auf Jean Pauls Werke anregen; und er fördert den Lektürehunger mit dem Eingeständnis, auch er, der Experte, habe keinen der monströsen Romane in einem Zug durchschmökert. Jeder dürfe aus ihnen das Seine auswählen und zwischen den Kapiteln springen. „Der Leser“, beruhigt Neumann, „muss nicht das ganze Menü essen.“