In den vergangenen Wochen seien viele Begriffe in den allgemeinen Wortschatz eingegangen: Verdoppelungszeit (er besagt, wie lange es dauert, bis sich die Zahl der Infizierten verdoppelt), R-Wert (Wie viele Menschen steckt ein Infizierter an?) oder Sieben-Tage-Inzidenz (sie sagt aus, wie viele Menschen in der untersuchten Region in sieben Tagen neu erkrankt sind, bezogen auf jeweils 100 000 Einwohner). So wissenschaftlich exakt die Daten auch ermittelt werden, "Covid-19 verblüfft uns immer wieder", sagt Fleißner. So sei nicht klar, warum es in verschiedenen Gegenden so unterschiedlich hohe Sterberaten gebe. Vor allem die Dunkelziffer sei, wie der Name sagt, die große Unbekannte. "Die muss erforscht werden."
Ein weiterer verblüffender Faktor sei der sogenannte Streufaktor. "Die Wissenschaft geht davon aus, dass 20 Prozent der Infizierten für 80 Prozent der Infektionen verantwortlich sind." Genau deshalb sei es wichtig, Massenansammlungen zu vermeiden. "Es ist belegt worden, dass zum Beispiel ein Chormitglied alle übrigen Sängerinnen und Sänger angesteckt hat." Auch für das Infektionsgeschehen in den Touristenhochburgen seien die sogenannten Superspreader verantwortlich gewesen. "Natürlich können die aber nichts dafür." Dennoch: "Es kommt darauf an, dass die Superspreader erst gar keine Gelegenheit haben, das Virus zu verbreiten." Es sei allerdings extrem schwer, diesen Personenkreis zu identifizieren. "40 Prozent der Superspreader bleiben asymptomatisch."
Wie der Freistaat Bayern, haben auch der Landkreis Wunsiedel und das Gesundheitsamt darauf gesetzt, so viele Menschen wie möglich zu testen. "Unsere Aufgabe ist es, die Nadel im Heuhaufen zu finden."
Wichtig sei vor allem, dass das Virus aus Altenheimen Kindertagesstätten und Gemeinschaftsunterkünften ferngehalten werden könne. Wie Fleißner sagt, gibt es gerade bei Kindern noch keine einheitlichen wissenschaftlichen Datengrundlagen. "Da werden wir noch unsere Erfahrungen machen." Es sei davon auszugehen, dass das Immunsystem der Kinder die Viren relativ gut abwehren könne. "Aber die Frage ist, wie stark sie das Virus weitergeben."
Einige Sorgen bereitet Gerhard Fleißner, dass offenbar mittlerweile einige Bürger glauben, die Pandemie sei so gut wie überstanden. Er spricht hier vom sogenannten Präventionsparadox. Das bedeutet, dass der Erfolg der bisherigen Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie dazu geführt hat, dass die aktuell weniger strengen Einschränkungen infrage gestellt werden. Man fühlt sich sicher, weil Präventionsmaßnahmen funktionieren. Und so scheint es, als hätte man die Krankheit gut im Griff. In der Folge sinkt bei einem Teil der Bevölkerung die Motivation, sich an die Regeln zu halten.
Fleißner lobt die Menschen im Landkreis Wunsiedel: "Die meisten halten sich an die Bestimmungen. Nur einige meinen offenbar, wir hätten es schon geschafft. Aber das haben wir leider noch nicht." Es habe sich gezeigt, dass das Tragen einer Mund-Nasen-Maske und das Abstandhalten sehr wirksame Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus seien. "Wenn wir dies beherzigen und vernünftig bleiben, sind wir auf einem guten Weg." Für diesen Appell erhielt der Leiter des Wunsiedler Gesundheitsamtes einen langen Applaus von den Kreisräten.
Landrat Peter Berek zeigte sich beeindruckt von dem Engagement Fleißners und seines Teams. "Die Mitarbeiter leisten hervorragende Arbeit. Aber mir ist klar, dass diese die Frauen und Männer an ihre Grenzen und darüber hinaus gebracht hat." Matthias Bäumler
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Aus Gründen des Infektionsschutzes tagte der 50-köpfige Kreistag nicht im Sitzungssaal im Landratsamt, sondern in der geräumigen Fichtelgebirgshalle.