Fichtelgebirge Ein Blick hinter die Fassade

 Quelle: Unbekannt

Sonntagsgedanken von Pfarrer Peter Hirschberg.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Der Bibeltext, über den am Sonntag in evangelischen Kirchen gepredigt wird, handelt von der Berufung des Propheten Jeremia durch Gott. Von einem Propheten also! Was ist das denn eigentlich, ein Prophet?

Viele würden sagen: Ein Prophet, das ist einer, der in die Zukunft sehen kann, eine Art Hellseher. Eine verbreitete Einschätzung, aber doch wohl eher eine Fehleinschätzung, jedenfalls dann, wenn man an die biblischen Propheten denkt. Diese wollten nämlich nicht in erster Linie die Zukunft voraussagen, sondern die Gegenwart deuten. Sie wollten aus der Perspektive Gottes Fehlentwicklungen aufdecken und darauf hinweisen, wie Gott sich das eigentlich gedacht hat, mit den Menschen und seiner Schöpfung.

In ihren Analysen menschlicher Wirklichkeit gingen sie dabei ganz schön zur Sache. Sie ließen sich nicht vom schönen Schein täuschen, sondern blickten hinter die Fassaden. Sie fragten, was eigentlich gespielt wird, auf der kleinen und auf der großen Bühne des Weltgeschehens. Deshalb schlugen sie zum Beispiel – zur Überraschung für viele - in Zeiten größten Wirtschaftswachstums und politischer Machtfülle Alarm. Sie sahen, was andere nicht sahen oder sehen wollten: nämlich dass der ganze Wohlstand, den die Oberschicht genoss, sich der Ausbeutung der Armen verdankt.

Keine Frage: die Propheten waren penetrant und lästig. Sie legten den Finger immer in die Wunde, die besonders schmerzt. Deshalb waren sie auch alles andere als beliebt, weder im politischen noch im religiösen Bereich. Verehrt wurden sie, wenn überhaupt, meist erst posthum. Es verwundert deshalb nicht, dass der junge Jeremia überhaupt nicht begeistert ist, als Gott ihn zum Propheten berufen will. „Ich bin noch zu jung“, sagt er, „und Reden kann ich auch nicht. Bitte, Gott, suche dir doch einen anderen.“ Nun lässt sich Gott zwar nicht umstimmen, aber er gibt Jeremia eine Zusage, die es in sich hat: „Fürchte dich nicht vor Ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten.“ Im Klartext: „Ja, Jeremia, es wird nicht leicht werden, aber ich lasse dich nicht hängen und werde dir immer wieder neue Lebensmöglichkeiten zuspielen.“

Beim Stichwort „Prophetie“ musste ich unweigerlich an die Coronakrise denken. Diese hat ja, wie viele Kommentatoren immer wieder betonten, eine Art „Brennglaseffekt“. Wie die Prophetie half sie uns, viele Probleme in unserer Welt deutlicher wahrzunehmen. Wir haben gemerkt, welch wertvolle (und oft schlecht bezahlte) Arbeit in Krankenhäusern, Pflegeinrichtungen und an den Kassen der Discounter verrichtet wird. Wir haben erlebt, dass Globalisierung nicht nur Vorteile hat. Wir sind darüber erschrocken, dass die Natur in dem Maß aufatmet, in dem die Wirtschaft heruntergefahren wurde. Und auch im persönlichen Bereich ist nicht wenigen durch die ungewollte Unterbrechung ihres normalen Alltags bewusst geworden, wie sinnlos unser Leben im Hamsterrad häufig ist, und dass es eigentlich auf etwas ganz anderes ankommt. Ich sehe in dieser Unruhe des Fragens und Suchens etwas zutiefst Prophetisches: Menschen spüren in der Tiefe, dass wir nicht so leben, wie es für uns und diese Welt heilsam wäre. Sie sehnen sich nach einem anderen Lebensstil, nach einer neuen Sinnperspektive.

Mein Herzenswunsch ist, dass diese heilsame Unruhe, dieses prophetische Bewusstsein nicht zu schnell wieder erlischt. „Vertraut den neuen Wegen“, so heißt es in einem modernen Kirchenlied, „auf die uns Gott gesandt! Er selbst kommt uns entgegen. Die Zukunft ist sein Land. Wer aufbricht, der kann hoffen, in Zeit und Ewigkeit. Die Tore stehen offen. Das Land ist hell und weit.“

Dr. Peter Hirschberg

Autor

Bilder