Hof Beim "Hard Rock Blues" sind alle gleich

Schüler des Schiller- Gymnasiums und des TPZ musizieren gemeinsam. Die Offenen Hilfen der Lebenshilfe haben Blechblas-Ensembles als Weg zur Inklusion entdeckt.

 
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Hof - Toni, der Taktstock, saust nach unten. Gerade noch hatte sich seine Spitze gen Aula-Decke gestreckt, jetzt zeigt sie waagerecht in den Raum - und gibt das Zeichen: Jetzt geht's los. Da zögert keiner hier im Saal: Hard Rock Blues, C-Dur - so swingt und klingt die Aula vom einen Moment auf den anderen. Hier sitzen 60 Kinder und Jugendliche aus vier Einrichtungen. Die einen blasen in Trompeten und Posaunen, die anderen machen mit Drumsticks und Beatboxing den Rhythmus, die nächsten haltenen Textblätter für ihre Rap-Einlage in den Händen. Was hier anläuft, ist ein Versuch - ein Experiment, ob derart unterschiedliche Gruppierungen irgendwie miteinander musizieren können. Und schon nach wenigen Sekunden Wagnis ist klar: Das läuft. Damit ist das Großprojekt Art, Brass and Beat um einen weiteren Mosaikstein reicher. Um einen, der selbst wiederum aus vielen Bausteinen besteht, die das ganze Jahr über Menschen bewegen.

Benjamin Sebald ist der Bläser-Dompteur. Der Musiker der Hofer Symphoniker und Leiter der Bläserklassen am Hofer Schiller-Gymnasium führt nicht nur zur ersten Probe Mitte Mai die Musiker zusammen. Mit Taktstock Toni in der Hand stellt er die Gruppen vor, die hier sitzen, lässt sie einzeln einige Songs zum Besten geben - und hält sein Mikrofon an verschiedene Münder: Jeder, der hier sitzt, soll wissen, wer sonst noch in dem großen Kreis Platz genommen hat.

Hier sitzen die Bläserklassen 5b und 6b des Schiller-Gymnasiums unter der Leitung von Benjamin Sebald, die Bläsergruppe des TPZ mit ihrem Chef Cornelius Kelber von den Offenen Hilfen der Lebenshilfe und die Rap-Gruppe des TPZ mit ihrem Leiter Dominik Sturm. "Wenn das ganz gut klappt heut, dann haben wir zwei große Auftritte vor uns", verspricht Benjamin Sebald den jungen Musikern. Und die legen sich freilich richtig ins Zeug - allein schon, um den vielen anderen im Raum zu zeigen, dass sie's können. Die musikalische Begegnung zwischen "Oh when the saints" und "Karneval in Rio" ist für alle hier Neuland. Und sie ist für alle eine Offenbarung: Dass alle so schnell so gut zueinander finden, hätte vermutlich keiner erwartet. Naja, einer vielleicht: Cornelius Kelber arbeitet schließlich das ganze Jahr über genau an dieser Sache.

Kelber ist in seiner Freizeit Trompeter und Obmann des CVJM-Posaunenchors - so hat es keinen überrascht, als er 2015 bei seinem neuen Arbeitgeber, der Lebenshilfe Hof, das Blechblasen verbreiten wollte. Angefangen hat er im Mai jenen Jahres mit einem Workshop beim offenen Treff im Café Colours. "Damals haben jeden Monat 15 Bläser zusammengesessen und gespielt", erinnert er sich. Aus der losen Runde wollte Kelber jedoch mehr machen - so ist er ins TPZ und in die Werkstätten der Lebenshilfe gegangen, um Mitstreiter zu suchen. Überall hat er für seine blecherne Leidenschaft geworben; und Fans gefunden.

Den offenen Treff und die diversen Gruppen zusammengerechnet, sind heute etwa 40 Menschen mit Behinderung als Blechbläser aktiv. Dazu kommt noch das Ensemble mit Mitarbeitern der Lebenshilfe. Und neben der Arbeit an Art, Brass and Beat hat Cornelius Kelber auch schon das nächste Projekt angestoßen: Zusammen mit der Big Band des Reinhart-Gymnasiums proben seine Bläser gerade für die Abschlussveranstaltung der Special Olympics Bayern, die bekanntlich Mitte Juli in Hof stattfinden.

Für Kelbers Chefin ist diese Arbeit ein Paradebeispiel für gelebte Inklusion: "In den Gruppen musizieren Menschen mit und Menschen ohne Behinderung ganz natürlich miteinander", sagt Monika Köppel-Meyer, Leiterin der Offenen Hilfen der Lebenshilfe Hof. "Cornelius schafft es durch seine persönliche Art, durch seinen Einsatz und durch sein großes musikalisches Wissen, alle für die Ensembles zu begeistern", betont sie im Gespräch. Und der Gelobte schmunzelt nicht nur dankbar, sondern erklärt gleich noch, warum das eigentlich eine ganz einfache Sache ist.

"Man kann schon mit nur einem Ton ein Stück mitspielen", berichtet er. Denn ganz egal, ob jemand eine geistige oder eine körperliche Beeinträchtigung hat, ob er große Vorkenntnisse mitbringt oder ob er zum ersten Mal in einer musizierenden Runde Platz nimmt: Einige der musikalischen Grundregeln haben alle ganz schnell drauf. "Wichtig ist zuallererst, dass wir miteinander beginnen und dann wieder miteinander aufhören", erklärt Kelber den Ansatz. Wenn alle auf die "Eins" im ersten Takt beginnen, erfüllen sie bereits einen der wichtigsten Lehrsätze für Cornelius Kelber: Sie gliedern sich ein in eine gemeinsame Sache. Das ist es auch, was bei der Probe in der Schiller-Aula sofort funktioniert.

"Ich finde Trompete das schönste Instrument", sagt André aus der TPZ-Bläsergruppe. Und sein Sitznachbar Julius widerspricht: "Posaune ist toll!" Dann reicht Dirigent Benjamin Sebald das Mikrofon weiter. Jetzt sind die Rapper unter Dominik Sturm dran. "Tausende Menschen, alle sind sie auf der Flucht, verrecken, Raketen schlagen ein mit voller Wucht": Was die Gruppe zu sagen hat, ist nichts für schwache Nerven. Die klaren Worte stammen aus der Feder des Lehrer selbst: "Menschlichkeit" heißt der Rap, den er mit seinen Schülern aufführen wird.

Die Rapper und die Bläser werden am Ende eingebettet ins große Programm von Art, Brass and Beat: Zum einen umrahmen sie die Vernissage der Kunstausstellung am 3. Juli, zum anderen werden sie beim großen Konzert am 8. Juli mit auftreten - entweder im Foyer oder für den großen Schluss-Applaus. Dafür proben und üben sie seit Mai. Und warten darauf, dass Taktstock Toni nach unten saust.

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Im nächsten Teil unserer Serie lesen Sie, wie engagierte Menschen aus der Region das Kinderheim in Asch unterstützen.

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