Das zeigt auch das Vermessungs-Projekt: "Die Schüler haben zu Hause freiwillig an ihren Präsentationen weitergearbeitet, obwohl sie das eigentlich nur während des Unterrichts hätten machen sollen", berichtet Natur-und-Technik-Lehrer Bastian Burghardt: Über eine Mikrofon-Funktion im gemeinsamen Lernprogramm, also einer App, verständigten sie sich über Sprachnachrichten von Kinderzimmer zu Kinderzimmer. Kollaboration nennt man das, wenn mehrere Personen über eine Plattform hinweg gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Eine Methode, auf die das Kultusministerium spätestens seit dem neuen G9-Lehrplan großen Wert legt.
Die ideale Schulwelt des digitalisierten Zeitalters wartet also im Schiller-Gymnasium in Hof? Mittlerweile kommt man dieser dort tatsächlich ziemlich nahe - zumindest stellt sie einen Kompromiss dar, zwischen der Ansicht von Euphorikern, für die Medienkompetenz genauso wichtig wie Lesen, Schreiben und Rechnen ist, und der von Skeptikern, die den Einsatz von digitalen Medien bei Kindern für schädlich halten. "Wir verwenden die iPads nur, wenn wir einen Mehrwert sehen", erklärt Bäumler. Das könne in allen Fächern der Fall sein - sogar im Sportunterricht. Zum Beispiel sei es durch die Technik möglich, einen Schüler bei einem Felgaufschwung am Stufenbarren zu filmen und ihm seinen Bewegungsablauf anschließend in Zeitlupe zu zeigen. "Dann kann man ihm anschaulich erklären: ,Schau mal, drehe deine Hand mal so, dann klappt es besser.’" Erfahrungen wie diese dokumentieren die 13 Lehrer, die mit den Tablets unterrichten, in einem "Mehrwert-Papier". "Dort notiert jeder, welche Erfahrungen er mit Software, Lern-Apps oder Unterrichtspraktiken rund um die Technik gemacht hat", erklärt Bäumler. Kollaboratives Arbeiten also auch unter den Lehrern.
Die Schwierigkeiten bei der Umsetzung
Wer bezahlt die Tablets? Beim Einsatz von digitalen Medien im Unterricht ist oft die Finanzierung ein Problem. Zwar hat die Staatsregierung für die digitale Bildung ein Förderprogramm aufgelegt, momentan steht den Kommunen das Geld aber noch nicht zur Verfügung, um die Schulen digital auf Vordermann zu bringen. Deshalb seien Unterstützer wichtig, sagt Rainer Schmidt, Schulleiter des Hofer Schiller-Gymnasiums. Dazu gehörten auch Eltern, die diesen Weg mitgehen wollten. An seiner Schule hat man sich für das 1:1-Modell entschieden, das heißt, die Tablets wurden von den Eltern gekauft und werden von den Schülern mit in den Unterricht gebracht. Anders als Schulbücher fallen Tablets nämlich nicht unter die Lernmittelfreiheit. Pro iPad gab es einen Zuschuss von der Frankenpost und der Firma Lamilux. Auch der Förderverein des Gymnasiums sei in die Bresche gesprungen, als es darum ging, die Leistung und Reichweite des Wlans kurzfristig nachzurüsten, sagt Schmidt.
Tückische Technik: „Wenn auf einmal 80 Schüler mit 80 iPads arbeiten sollen kann man nicht jede Eventualität im Vorfeld beachten“, sagt Lehrer Stefan Bäumler. Vor allem in technischen Belangen stehe man immer wieder vor neuen Herausforderungen. Zum Beispiel machte Apple selbst dem Gymnasium einen Strich durch die Rechnung, als die Lehrer die iPads gemeinsam mit den Kindern und ihren Eltern für den Unterricht in Betrieb nehmen wollten. Zum Schuljahresbeginn hatten sich alle an einem Samstagvormittag in der Schule getroffen, um Nutzeraccounts anzulegen, Lern-Apps zu installieren oder einfach die Handhabung zu üben. „Wir hätten den Eltern auch einen schriftliche Anleitung zukommen lassen können, damit sie das zu Hause selbst erledigen, aber wir wollten niemanden damit alleinelassen“, erklärt Lehrer Bastian Schatz, der die Klassen vor allem in technischen Belangen betreut. Die Einführungsveranstaltung schien, wie geplant zu laufen: Ein Gerät nach dem anderen nahm seine Funktion auf – doch bei iPad Nummer 31 war plötzlich Schluss. „Apple ließ nicht mehr Neuanmeldungen pro Tag über eine einzelne IP-Adresse zu“, erklärt Bastian Schatz. „Das hat uns kurzzeitig vor ein großes Problem gestellt.“ Eine Lösung fand man schließlich, indem die Lehrer ihre privaten Smartphones als Hotspots zur Verfügung stellten, um weitere Accounts einzurichten. „Wir hatten uns vorher bei Apple informiert, ob so etwas passieren könnte, und es hieß, dass es keine Probleme geben sollte“, sagt Schatz. „Wir fühlen uns bei den Hotlines meist gut aufgehoben, aber auch dort kommt man oft nicht weiter, wenn es um ganz praktische Probleme im Schulalltag geht.“ Auch für den Technologie-Riesen scheint die Vereinbarung von digitalen Medien und Schule noch Neuland zu sein. Von Apple gab es auf Frankenpost-Anfrage darauf keine Reaktion.
Lange Lizenz-Codes: Vor allem die Lehrer der Sprachfächer sehen in den Tablets eine enorme Bereicherung für ihren Unterricht. In Deutsch lassen sich im digitalen Duden viel flinker Wörter nachschlagen als in der dicken Buch-Version und in Englisch können sich die Kinder mittels Audio-Dateien in ihren digitalen Schulbüchern die Vokabeln beim Lernen vorsprechen lassen. Aufwendig sei hingegen die Installation der E-Lehrbücher, berichtet Lehrer Stefan Bäumler. „Zum Teil muss man zwölfstellige Codes mit Sonderzeichen, Groß- und Kleinschreibung und sonstigem Pipapo eingeben“, bemängelt er. Die Fehlerquelle beim Eintippen sei da natürlich hoch. Da die Tablets den Eltern gehören, mussten diese die digitalen Schulbücher mit ihren Kindern zu Hause herunterladen. „Bei einigen hat es nicht geklappt, zum Beispiel weil sie beim Eintippen des Codes ein großes ,I‘ für ein kleines ,L‘ gehalten haben.“ Bis Bäumler den Fehler gefunden habe, sei eine Stunde vergangen, erzählt er. „Es ist alles lösbar, aber kostet sehr viel Zeit.“ Die Verlage verweisen währenddessen auf die Vorgaben durch den Datenschutz: „Da es Hundertausende E-Books in Deutschland gibt, sind eindeutige Codes notwendig, um eine sichere Zuordnung zu gewährleisten“, erklärt eine Sprecherin des Klett-Verlages auf Anfrage. Die Codes seien nicht komplizierter als in anderen Zusammenhängen des digital geprägten Lebens.
Schulleiter Rainer Schmidt sieht das als schönen Nebeneffekt. "Die Zusammenarbeit im Kollegium in dieser Sache ist toll." Ohnehin sei das Projekt nur durch das Engagement seines Teams umsetzbar gewesen. "Es nützt die beste Technik in den Klassenräumen nichts, wenn dahinter keine Lehrer stehen, die Lust darauf haben und das Ganze mit Leben und Sinn füllen", sagt Schmidt.
Etliche Überstunden und Fortbildungen liegen hinter Bäumler und den anderen Lehrern. "Wir haben auch an anderen Schulen hospitiert, die bereits Erfahrung auf diesem Gebiet haben." Schließlich gehe es neben einem didaktischen Konzept auch darum, die Handhabung der Geräte zu trainieren. Wenn es um die reine Bedienung geht, seien die Schüler nämlich klar im Vorteil.
Anders sieht es bei Inhalten aus. Nach Bäumlers Ansicht haben Lehrer mit der Digitalisierung eine neue Rolle bekommen: "Es geht nicht mehr nur darum, Wissen zu vermitteln." Informationen fänden Schüler schließlich auch im Internet. Vielmehr müssten Lehrer heutzutage einordnen und Kindern beibringen, wie sie seriöse von zwielichtigen Quellen unterscheiden. Deshalb arbeitet das "Schiller" im Unterricht auch mit der Frankenpost , um Medienkompetenz zu trainieren. Unser Verlag stellt dafür jedem Schüler der Tablet-Klassen vier Jahre lang gratis die Online-Ausgabe zur Verfügung.
Auch gehe es darum, den Kindern zu vermitteln, wann sie die Technik für sich nutzen können und wann es mit Papier und Stift besser geht, erklärt Bäumler weiter. Zum Teil erkennen das die Jungen und Mädchen aber schon selbst, wie ein weiteres Beispiel aus dem Projekt "Die Vermessung des Schiller-Gymnasiums" zeigt: Jan, Oskar und Christian haben sich als Objekt zum Vermessen nicht gerade das kleinste ausgesucht: Sie wollen die Schulmauer untersuchen. "Mit dem Zollstock hätte das aber viel zu lange gedauert", erklärt Jan. Deshalb haben sich die drei Jungs die Mauer über Google Maps vorgeknöpft. "Mein Papa hat mir mal gezeigt, dass man auf Google Sachen messen kann. So konnten wir schon mal die Länge herausfinden." Mit der Maßband-App, die auf die Kamera des Tablets zugreift, überprüften die Kinder diese Angaben nochmals: "Schau, wenn ich hier tippe, dann misst die App den Weg, den ich zurücklege", erklärt Christian und schreitet mit dem Tablet an der Mauer entlang. Der Zollstock kommt trotz der Technik zum Einsatz: "Damit haben wir die Höhe der Pfosten gemessen", erklärt Oskar. Von der Vorgehensweise seiner Schüler sei selbst Lehrer Bastian Burghardt beeindruckt gewesen: "Ich wäre selbst nicht auf diese Idee gekommen." So konnte auch der Lehrer bei dem Projekt noch etwas lernen.