Hof Ein Dach für die Betreuung

Sechs Häuschen mit Giebel schließen sich an einen Flachdach-Bau an. Darin kommen die drei Kindergarten- und die drei Krippengruppen unter. Gerriet Giebermann (links), Vorsitzender der Lebenshilfe, hat das, als das Projekt seinen Anfang nahm, so auf einen Zettel gezeichnet. Nun sieht der Bau tatsächlich so aus. Über das Richtfest freuen sich auch Ute Mai, Leiterin des Montessori Kinderhauses, und Lebenshilfe-Geschäftsführer Siegfried Wonsack. Foto: Schwappacher

Richtfest im Neubau der Lebenshilfe an der Erlhofer Straße. Dort sollen nicht nur Betreuungsplätze entstehen, sondern auch behinderte Mütter mit ihren Kindern leben können. In Bayern ist das einzigartig.

 
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Hof - In den kleinen Wasserpfützen auf dem Boden spiegelt sich noch das Grau des nackten Betons. Die Schuhe der festlichen Gesellschaft knirschen auf dem Bausand, der hier und da zwischen den Lachen verstreut liegt. Nun hebt eine Bläsergruppe zu spielen an. Die Melodie ruft die Bauarbeiter herbei, die in ihrer Geschäftigkeit kurz innehalten. Dass hier, in der Erlhofer Straße in Hof, etwas wohl bayernweit Einzigartiges entsteht, kann beim Richtfest noch niemand ahnen, der es nicht besser weiß: Kinderbetreuung und ein Angebot zur sogenannten begleiteten Elternschaft für geistig behinderte Menschen - gebündelt in einem Gebäudekomplex. Hinzu kommt eine schulvorbereitende Einrichtung (SVE), die Kinder etwa mit Entwicklungsverzögerungen fit macht für den Schulalltag.

Ab September 2021 soll Kinderlachen durch die dann bunt gestalteten Räume schallen. Nun ist zunächst einmal der Rohbau samt Dach fertig - und das trotz Corona und Bauboom im Zeitplan. 8,7 Millionen Euro betragen die Kosten hierfür nach aktueller Kalkulation. Gefördert wird das Projekt von der Benefizaktion "Sternstunden" des Bayerischen Rundfunks, von der Oberfrankenstiftung, der Landesstiftung und der Aktion Mensch. Zwei Millionen Euro trägt die Lebenshilfe, die bei der Planung wert auf viel Platz gelegt hat, wie Ute Mai, Leiterin des Montessori Kinderhauses erklärt. Integrative Kinderbetreuung, die nicht nur gesunde, sondern auch psychisch und körperlich beeinträchtigte Kinder einschließt, brauche Raum. Auf 5200 Quadratmetern Grundstücksfläche entstehen Gebäude mit einer Grundfläche von 2200 Quadratmetern. Das erklärt Architekt Gernot Heinz in seinem Grußwort. "Das heißt, wir haben hier quasi 16 durchschnittlich große Einfamilienhäuser gebaut", ergänzt er. Nötig waren dafür 2400 Kubikmeter Beton und 330 Tonnen Stahlbeton.

Auf 200 Quadratmetern entstehen vier Appartements für die begleitete Elternschaft. Dieses Angebot richtet sich an geistig behinderte Mütter, die die Chance bekommen wollen, ihr Kind selbst mit Unterstützung großzuziehen. Sie können mit ihrem Zögling eines der Appartements bewohnen. Während das Kind die Krippe oder den Kindergarten im Haus besucht, kann die Mutter etwa in den Werkstätten der Lebenshilfe zur Arbeit gehen. Ansonsten sei es die Regel, dass das Jugendamt das Kind einer geistig behinderten Mutter bei einer Pflegefamilie in Obhut gebe, erklärt Gerrit Giebermann auf Nachfrage. "Einzelnen Müttern wird das Kind, das sie neun Monate lang im Bauch getragen haben, sozusagen gleich wieder weggenommen", erzählt er. "Sie können sich nicht vorstellen, was das für ein Drama ist."

Ute Mai ergänzt: "So bekommen diese Mütter dann wenigstens die Chance, es mit der Erziehung selbst zu versuchen, wenn sie das möchten. Natürlich mit unserer Unterstützung." Ziel sei es, dass Mutter und Kind irgendwann in eine eigene Wohnung ziehen können. Ein junges, geistig behindertes Paar betreue die Lebenshilfe bereits jetzt ambulant. "Und ich rechne damit, dass hier bald noch weitere Anfragen kommen, wenn das Angebot öffentlich bekannter wird", sagt Geschäftsführer Siegfried Wonsack. Der Bedarf sei da. Das Jugendamt selbst habe die Lebenshilfe darum gebeten, begleitete Elternschaft anzubieten. Im Raum Hof tut das bislang kein anderer Träger. In Sachsen und Thüringen sei das Modell weit verbreitet, berichtet Wonsack. Als nächste Anbieterin in Bayern fällt ihm die Lebenshilfe in Coburg ein.

Dass die Lebenshilfe Hof auch ihre Kapazitäten in der Kinderbetreuung erweitert, gehe wiederum auf Bitten der Stadt Hof zurück. So dankte Bürgermeisterin Angela Bier in ihrem Grußwort der Lebenshilfe dafür, dass sie dabei mithelfe, in Sachen Betreuungsplätze "die Not zu lindern". Der Neubau soll Platz für 84 Kinder bieten. Unterkommen werden zwei Krippengruppen, drei Kindergartengruppen, eine Hortgruppe und zwei SVE-Gruppen. Letztere sind bislang im Therapeutisch-Pädagogischen-Zentrum (TPZ) untergebracht und werden umziehen.

Die Kinderbetreuungsgruppen kommen in sechs kleineren, von der Straße abgewandten, farblich individuell gestalteten Nebengebäuden unter, die durch einen Flur miteinander verbunden sind. Es soll zudem einen Innenhof geben, einen Mehrzweckraum mit flexibler Trennwand und eine Küche. Im zweigeschossigen Hauptgebäude sollen sich die begleitete Elternschaft und die SVE-Gruppen befinden.

Lebenshilfe-Vorsitzender Giebermann betont in seinem Grußwort, dass das integrative Konzept der Einrichtung demokratische Werte vermittle. Die Unterschiede, die in der Gesellschaft oft Probleme machen, gibt es hier nicht." Kategorien wie gesund und behindert, schwarz und weiß gebe es nicht. Landrat Oliver Bär befindet, dass sich die Gesellschaft in Sachen Inklusion erst in den vergangenen 40 Jahren quasi vom Mittelalter in die Neuzeit entwickelt habe. Es sei bemerkenswert, wie oft die Lebenshilfe neue Bauprojekte angehe. "Das erfordert viel Mut, weil man nie weiß, welche Summe der Architekt am Ende nennt."

Mit dem Richtfest verbindet die Lebenshilfe zugleich die symbolische Grundsteinlegung für ihr entstehendes Kinderhaus. Hierzu versenken Giebermann und Geschäftsführer Wonsack eine Zeitkapsel in einer Aussparung im noch nackten Betonboden. Darin: eine Auflistung der Einrichtungen des Hauses, eine Aufstellung der aktuell wichtigsten politischen Amtsträger sowie des Vorstands und des Beirats der Lebenshilfe Hof, deren Chronologie, verschiedene aktuelle Zeitungen - und die Tageslosung:

"Sorge im Herzen bedrückt den Menschen; aber ein freundliches Wort erfreut ihn." (Sprüche 12,25) "Der Spruch passt für den heutigen Tag", befindet Wonsack.

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