Hof Fesselnde "Ballon"-Geschichten

Isabel Wilfert

DDR-Flüchtling Günter Wetzel spricht beim Frankenpost-Leserkino über die wilde Hatz mit dem Fesselballon. Zuvor sieht der volle Saal den Film "Ballon".

 
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Hof - Am Sonntagabend hat das Frankenpost-Leserkino in Zusammenarbeit mit dem Central Kino Hof Michael Herbigs Thriller "Ballon" gezeigt. Im Anschluss an die Sondervorführung moderierte Jürgen Stader, Initiator der Deutsch-Deutschen Filmtage, ein Filmgespräch mit Günter Wetzel, auf dessen Fluchtversuch der Film basiert. Auch das Publikum hatte im ausverkauften Kinosaal 1 Gelegenheit, Fragen an Günter Wetzel zu stellen.

Eine Jugendweihezeremonie, Jungpioniere singen "Unsere Heimat", NVA-Soldaten erschießen einen DDR-Bürger im Todesstreifen auf der Flucht. "...und wir schützen sie [unsere Heimat], weil sie dem Volke gehört" - auch vor dem eigenen Volk, wenn es in den Westen fliehen will. Für Günter Wetzel gibt es keinen Einstieg in das Filmthema, der es besser hätte treffen können: Brüche, die die Zerrissenheit und die Schizophrenie des realen Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik versinnbildlichen. "Es wurde mir zum Vorwurf gemacht, dass mein Vater flüchtete, als ich fünf Jahre alt war. Ich bekam keinen Studienplatz, weil mein Vater im Westen war und ich nicht der SED beitreten wollte", zählt Wetzel als einen von vielen Gründe auf, warum er bereit war, seine Heimat selbst unter Lebensgefahr für immer zu verlassen.

Am 16. September 1979 landeten die Familien Strelzyk und Wetzel - zwei Ehepaare mit insgesamt vier Kindern - in einem selbstgebauten Heißluftballon auf einem Feld bei Naila. 28 Minuten dauerte ihre Ballonfahrt vom Startplatz - einer Lichtung zwischen Oberlemnitz und Heinersdorf - bis zur harten Landung hinter der deutsch-deutschen Grenze. "Für uns war von vornherein klar: Wenn wir flüchten, müssen alle mitkommen, und das ist nur auf dem Luftweg möglich", erinnert sich der Familienvater. 1,40 Meter mal 1,40 Meter betrug die Größe der Plattform, auf der die acht Personen nebst Brenner Platz fanden.

Peter Strelzyk und Günter Wetzel arbeiteten Anfang 1978 zusammen und sprachen dabei auch darüber, die DDR zu verlassen zu wollen. Der Zufall wollte es, dass Wetzel eine West-Zeitschrift in die Hände bekam, die einen Bericht vom jährlichen Ballonfahrertreffen in Albuquerque enthielt. Wetzel sah darin sofort eine Möglichkeit, die Grenzanlagen zu überwinden. Am 8. März 1978 stand die Entscheidung fest. "Jetzt mussten wir nur noch unseren Frauen erklären, dass dies ein sicherer Weg ist - so oft, bis wir selbst daran geglaubt haben", sagt der autodidaktische Ballonbauer.

2012 sei der Anruf einer Mitarbeiterin von Bully Herbig gekommen und damit die Anfrage, ob die Familie Wetzel Herbig und dessen Drehbuchautoren für eine Verfilmung ihre Geschichte erzählen könne. Peter Strelzyk verstarb im vergangenen März. Der Kontakt zwischen den beiden Familien sei erst wieder im Vorfeld der Dreharbeiten aufgelebt. "Wir waren als Berater tätig. Bully hat uns von Anfang an mit eingespannt", erläutert Wetzel ihre Aufgabe für den Dreh. So beruhe das Drehbuch zwar auf den Erzählungen der Beteiligten, sei realitätsnah und detailgetreu, dennoch: "Es passt nicht alles hundertprozentig, schließlich ist es immer noch ein Spielfilm, aber vom Grundgeschehen her ist es in Ordnung."

Dabei gab es auch in der wahren Flucht-Geschichte Dramatisches en masse - zum Beispiel vom knapp gescheiterten ersten Fluchtversuch über Motorprobleme bei der Fahrt zum Startplatz und eine sich nicht lösen wollende Verankerung bis hin zu einem Brand der Hülle, leeren Gasflaschen und Orientierungsschwierigkeiten.

Natürlich waren schon Planung und Bau des Ballons nicht einfach umzusetzen. "Es war wirklich eng mit unserer Flucht. Laut Aussage des Leiters der Stasi-Behörde in Gera hätten sie noch sechs Tage gebraucht, um uns aufzuspüren", berichtet Günter Wetzel. Die Familien mussten immerhin rund 1300 Quadratmeter Regenschirmseide, Zelt-Nylon und Taftstoff für den fast 29 Meter hohen Ballon besorgen, während die Staatssicherheit bereits nach Verdächtigen Ausschau hielt, die versuchten, größere Mengen Stoff zu erwerben.

Neben Mut, Waghalsigkeit und guten Nerven hätten sie der unbedingte Wille nach Freiheit und die Umsetzung der Flucht zwischen 40 000 und 50 000 Mark gekostet. Die rund 270 Kinobesucher erfahren außerdem, dass Wetzel auch die Idee zum Bau eines Leichtflugzeuges als Fluchtmobil hatte. Er meint heute: "Nach 32 Jahren Fliegerei, davon 20 als Fluglehrer, kann ich das besser einschätzen und muss sagen, das wäre wohl eher nichts geworden".

Jürgen Stader lobte den Film als "cineastischen Leckerbissen", "dramatisch und dramaturgisch gut gemacht" und als Mahnung, demokratische Umstände nicht als gemeinhin selbstverständlich hinzunehmen. Stader erinnerte ebenso an die Hilfsbereitschaft in der Region für DDR-Flüchtlinge und zur Wendezeit.

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