Wurlitz Herr über einen großen Kreislauf

Wie viele Küken sind auf diesem Bild zu sehen: 500? 700? 1900? Die Antwort: Es sind knapp 4800. Im ersten von zwei Mast-Ställen verbringen die Tiere die ersten viereinhalb Wochen ihres Lebens. Wolfgang Kaiser lädt Interessierte gern ein, sich das anzusehen - oft genug fragen Autofahrer ohnehin danach. Quelle: Unbekannt

Der 25-jährige Wolfgang Kaiser zieht in Wurlitz Bio-Masthähnchen groß. Damit hat er sich in einer guten Nische positioniert. Nur die Stromtrasse macht ihm Sorgen.

 
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Rehau-Wurlitz - Als er an dem Morgen aus dem Haus kommt, schüttelt er erstmal die Arme: "Ich merke echt, was ich gestern gemacht habe", sagt Wolfgang Kaiser. Am Vortag war Ausstallen: Da hat der 25-Jährige, zusammen mit der Familie und jeder Menge Freunden, 4800 Hühner eingefangen und in Transportkisten gesetzt - alles mit der Hand. Sein Vermarkter hat sie abgeholt und in die Nähe von Ulm zum Schlachten gefahren. Jetzt steht für den Jung-Landwirt die Reinigung des Stalls an, denn in wenigen Tagen ziehen die anderen 4800 Hühner dort ein, die die ersten Wochen ihres Lebens im Jungtier-Stall verbringen. Der Hühermist landet auf den Feldern rund um den Hof, das Getreide von dort dient als Grundlage für die Fütterung: "Ich wollte immer schon einen richtigen Kreislauf bewirtschaften", sagt Wolfgang Kaiser. Und verhehlt nicht, dass ihm auch Menschen aus seinem Umfeld abgeraten hatten, den Beruf des Landwirts zu ergreifen. Wie schnell es dabei nämlich auch um die Existenz gehen kann, zeigt ihm ein Damoklesschwert, das seit vier Jahren über ihm hängt.

Als Wolfgang Kaiser an der Sitzgruppe am kleinen Teich Platz nimmt und die Arme ausschüttelt, lässt er kurz den Blick in den Wurlitzer Grund schweifen. Unten im Tal sieht er die Behälter des Bioenergiezentrums Hochfranken an der Rehauer Kläranlage, daneben verlaufen die Bahnlinie und das kleine Verbindungssträßchen - ansonsten herrscht Idylle pur. Trotzdem kommen ihm immer dunkle Gedanken, wenn er hierher blickt: "Die Gleichstromtrasse Südostlink soll mitten über meine Wiesen und Felder laufen und zehn Meter neben dem neuen Stall vorbeiführen." Kaiser ist gegen die Trasse: Er hält sie per se für nicht nötig, er findet die Herangehensweise dilettantisch, er moniert die hohen Kosten ("Das müssen wir alle bezahlen!"). Dass die Studien über eventuelle gesundheitliche Risiken erst nach dem Spatenstich für die Trasse fertiggestellt sein sollen, hält er für eine Geringschätzung von Mensch und Tier. Hauptsächlich aber macht ihm die Ohnmacht zu schaffen, in der er - wie viele andere auch - gefangen ist: "Die machen das einfach, und man kann nichts dagegen tun." Denn auch, wenn in jener Sache lange noch nichts spruchreif ist: Die Stromtrasse könnte seinem Bio-Hof den Garaus machen.

Ganz nach Bio-Kriterien hat Wolfgang Kaiser für seine Hühner einen großen Auslauf im Freien eingezäunt. Just darunter hindurch sähen Tennet und die Bundesnetzagentur aber die Gleichstromleitungen verlegt. "Und wenn dann in ein paar Jahren einer sagt, wegen der Strahlung verliere ich die Bio-Zertifizierung, dann kann ich zusperren. Denn mit einer konventionellen Haltung braucht man in dieser kleinen Größenordnung gar nicht anfangen."

Kleine Größenordnung heißt für Wolfgang Kaiser: Ein Durchlauf besteht aus 4800 Tieren, Männlein wie Weiblein. "Bei konventioneller Zucht brauchst du mit weniger als 20 000 gar nicht anfangen", sagt er. "Klar: 4800 klingt auch viel. Das ist auch viel. Aber wenn ich von 50 Hühnern leben könnte, würde ich nur 50 halten." Er versuche, seinen Tieren das schönstmögliche Leben zu ermöglichen, er kümmere sich jeden Tag und ungezählte Stunden um sie, sorge für Nahrung, Spielzeug oder ärztliche Versorgung. "Und ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich sie weggebe. Wenn ich das alles nicht mache, macht es jemand anders." Obwohl er, während sie bei ihm sind, schon sehr hängt an seinen Tieren.

Wenn er sie bekommt, sind sie einen Tag alt und wiegen 40 Gramm, wenn er sie neun Wochen später weiterreicht, wiegen sie 2,3 bis 2,4 Kilogramm. Die Küken bezieht Kaiser aus Österreich: "In Deutschland gibt es gar nicht so viele Bio-Brütereien." Weiterverkauft werden sie an die Oberschwäbische Geflügel GmbH: ein Betrieb mit eigener Masttierhaltung, die die Tiere nahe Ulm schlachten lässt. "Das ist der nächstgelegene Schlachthof für Geflügel mit dem Bio-Label, das meine Tiere tragen; bei uns in der Region gibt es so etwas gar nicht", erklärt Kaiser. So, wie auch sein Betrieb selbst eher eine Rarität darstellt in der Region.

In Marktleuthen, in Kronach und nahe Kulmbach gibt es ähnliche Höfe wie den seinen, die sich auf die Mast von Bio-Hähnchen konzentrieren. Auf Wolfgang Kaisers Hof in Wurlitz leben sie ihr Leben in zwei Ställen: Viereinhalb Wochen lang gackern sie im sogenannten Vormast-Stall - im geschlossenen Raum, der gut geheizt werden kann. Danach ziehen sie um in den größeren Stall, der auch über einen überdachten Außenbereich und ein zwei Hektar großes Freilauf-Gelände verfügt. Die Vorgaben fürs Bio-Siegel habe er nie als hart zu erreichen angesehen, sagt der junge Landwirt: "Ich hatte mir das bei Kollegen angesehen und gesagt: So will ich das auch machen." Wobei er mehrmals im Gespräch betont: "Die Leute denken, Bio ist gut und konventionelle Landwirtschaft ist schlecht. Aber das ist ein völlig falsches Denken." Kaiser betont, dass er auch ein Fan von konventioneller und verantwortungsvoll betriebener Landwirtschaft sei. Nie würde er über einen Kollegen urteilen wollen - er hatte einfach das Glück und die Möglichkeiten, seinen Betrieb so zu gestalten, wie er persönlich es sich gewünscht hatte.

Gut vier Jahre ist es her, dass Wolfgang Kaiser den Hof von seinem Opa Ludwig übernommen hat. Seine Eltern leben auch auf dem Hof und packen mit an, wo es nötig ist; zuvor waren die Felder fast 20 Jahre lang verpachtet. "Dass ich Bio machen will, hat dem Opa anfangs gar nicht so gut gefallen - er dachte vielleicht, das ist ein Rückschritt, was die Erträge und so weiter angeht. Aber er hat mich immer machen lassen." Und Wolfgang Kaiser macht: 2015 hat er den Hof übernommen, 2017 hat er den neuen Stall für die Bio-Hühner gebaut, seit November 2018 baut er sich derweil noch ein weiteres Standbein auf.

Nachdem seine Hühner geschlachtet worden sind, kommen sie in den Verkauf - unter anderem über Denree in Töpen. Einen kleinen Teil der Lieferung jedoch kauft Wolfgang Kaiser zurück, um sie direkt zu vermarkten. Facebook und Plakate, ein Schild vorm Haus und die Dorfgemeinschaft sind seine Werbung: Im November hat er mit 60 Bio-Hähnchen angefangen, mittlerweile verkauft er pro Zyklus 110 Stück. "Und davon sind 98 vorbestellt." Die Nachfrage ist groß, über den Winter möchte er für den bislang provisorischen Verkauf einen eigenen Raum einrichten, dann mag er die Mengen langsam steigern. "Wenn ich mal auf 200 bis 250 Stück käme, das wäre schon ein Traum",sagt Kaiser. Und ist optimistisch, dass das klappen kann: So viele Leute fragen nach, wollen vorbestellen, möchten wissen, wie der Betrieb funktioniert - Kaiser hat sich in einer Nische platziert, die immer mehr Menschen interessiert; auch als Kunden. Darauf nämlich kommt es am Ende an: Dass sich die neue Lust auf Bio auch im Einkaufsverhalten der Menschen widerspiegelt - und damit den Landwirten die Möglichkeit gibt, so zu wirtschaften, wie es sich alle wünschen.

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