Kulmbach Angst vor der großen Pleitewelle

Stefan Linß
Wenn Mahnungen und die gelben Briefe des Gerichtsvollziehers regelmäßig ins Haus flattern, dann braucht es womöglich Hilfe von den Profis. Die Schuldnerberatung der Caritas unterstützt Menschen in finanziellen Notlagen. Foto: Christian Charisius/dpa Quelle: Unbekannt

Im Schuldneratlas steht der Kreis Kulmbach gut da und klettert bundesweit auf Platz 75 von 401. Schuldnerberater sehen jedoch überhaupt keinen Grund zur Entwarnung.

 
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Kulmbach - Die Quote sinkt. 6,99 Prozent der erwachsenen Privatpersonen im Kreis Kulmbach sind überschuldet. Das ist der niedrigste Wert seit mehr als zehn Jahren. 2017 hatte die Creditreform Wirtschaftsforschung noch eine Überschuldungsquote von 7,59 für den Landkreis ermittelt. 2018 ist der Anteil der Einwohner, die nachhaltige Zahlungsstörungen aufweisen, auf 7,41 Prozent gesunken und im Jahr 2019 schließlich auf 7,16. Und aktuell steht erstmals seit 2009 wieder eine sechs vor dem Komma. Ein gutes Zeichen?

Die Quoten

Die Quote der überschuldeten Privatpersonen im Landkreis Kulmbach ist erstmals seit 2009 wieder auf einen Wert unter sieben gefallen. Nach dem Rekordwert von 7,59 Prozent im Jahr 2017 ist der Anteil der Menschen mit großen finanziellen Sorgen in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Der Schuldneratlas von Creditreform hat für den Landkreis Kulmbach die folgenden Quoten ermittelt (alle Angaben in Prozent):

2020: 6,99

2019: 7,16

2018: 7,41

2017: 7,59

2016: 7,50

2015: 7,45

2014: 7,39

2013: 7,39

2012: 7,46

2011: 7,30

2010: 7,45

2009: 6,83

Womöglich täuschen die niedrigeren Zahlen über das Problem hinweg. Einerseits gibt es immer noch genügend Menschen, die aufgrund ihrer angespannten finanziellen Situation in eine unerträgliche Lage geraten sind. Andererseits spiegeln sich die Folgen der Corona-Pandemie noch nicht im neuen Schuldneratlas wider. "Der große Schwung der Privatinsolvenzen wird 2021 und 2022 kommen", sagt Veronica Specht im Gespräch mit der Frankenpost. Die Schuldnerberaterin der Caritas-Verbände in Kulmbach und Bayreuth geht davon aus, dass als eine Folge der Corona-Krise die Geldsorgen bei vielen Menschen zunehmen werden.

Der Beratungsbedarf in der Kulmbacher Schuldnerberatung wird ohnehin schon von Jahr zu Jahr größer. Besonders Senioren sind von Überschuldung betroffen. "Viele haben ihre Rente mit 450-Euro-Jobs aufgebessert", sagt Veronica Specht. Sie geht davon aus, dass im kommenden Jahr wesentlich mehr Menschen bei ihr Rat suchen werden. Wegen der Krise sind oftmals die Minijobs gestrichen worden, andere Arbeitnehmer mussten in Kurzarbeit und verdienen weniger.

Trotzdem hat die Überschuldung der Verbraucher in Deutschland erneut abgenommen. Bundesweit verringerte sich die Zahl überschuldeter Privatpersonen um 69 000 Personen auf 6,85 Millionen, die Frankenpost berichtete. Die Überschuldungsquote sank leicht auf 9,87 Prozent. "Der vermeintlich positive Befund ist allerdings kein Zeichen der Entspannung", erklärte Patrik-Ludwig Hantzsch, der Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform. Er nannte die aktuelle Überschuldungsentwicklung auf den ersten Blick paradox. Das liege vor allem daran, dass die staatlichen Hilfsmaßnahmen die schlimmsten sozialen Auswirkungen abgemildert haben. Dennoch sei die Lage Besorgnis erregend.

Rund 700 000 Menschen hatten zwischenzeitlich den Arbeitsplatz verloren, bis zu 7,3 Millionen Menschen waren oder sind in Kurzarbeit und viele Menschen mit geringem Einkommen können ihrer selbstständigen oder teilberuflichen Tätigkeit nicht nachgehen, teilte Hantzsch mit. Schätzungsweise kämpfen derzeit zwei Millionen Freiberufler und Soloselbstständige um ihre Existenz und stehen am Rande einer Überschuldung.

"Viele verdienen gar nichts mehr", stellt Schuldnerberaterin Veronica Specht in den Gesprächen mit ihren Klienten fest. Bei der Kulmbacher Caritas melden sich die Menschen in finanzieller Notlage leider erst sehr spät. Viele glauben lange Zeit, dass sie es doch noch irgendwie alleine schaffen. "Ich hatte jetzt einen Klienten, dem eine Erzwingungshaft angedroht worden ist." Der Briefkasten quillt bei den Betroffenen über mit Rechnungen, Mahnschreiben und Post vom Gericht. Ungeöffnet wandern die Briefe dann in die Wohnzimmerschublade. "Man verdrängt die Situation und will sich dem nicht mehr aussetzen. Das macht etwas mit den Leuten und führt zu einer psychischen Problematik."

Die Diplomsozialpädagogin rät dringend dazu, so früh wie möglich das Gespräch mit der Beratungsstelle zu suchen. Die Profis können dann darum kümmern und zielgerichtet die Verhandlungen mit den Gläubigern führen. "Das ist unser Kerngeschäft", sagt Veronica Specht. Sie gibt zu bedenken, dass jeder Fall sehr individuell sein kann. Zunächst muss sich die Beraterin einen detaillierten Überblick über Einkünfte und Ausgaben und alle finanziellen Verhältnisse ihres Klienten verschaffen. Ohne die Mitarbeit des Betroffenen sei das unmöglich. Die aktuell gesunkene Überschuldungsquote sei womöglich nur die Ruhe vor dem Sturm. "Wir rechnen damit, dass die Pleitewelle 2021 kommt." Die staatlichen Corona-Hilfen sind angekommen und haben heuer die Lage stabilisiert.

Im kommenden Jahr wird es eine ganze Reihe von Insolvenzanträgen geben. Das habe unter anderem damit zu tun, dass als Folge der Corona-Krise ein neues Gesetz in Arbeit ist. Darin soll geregelt werden, dass die Wohlverhaltensperiode im Insolvenzverfahren von derzeit sechs auf künftig drei Jahre verkürzt wird. Wer kann, der verschiebt seine Insolvenz deshalb aufs kommende Jahr. "Die Anträge stapeln sich", sagt die Beraterin.

Dass die Schulden mehr und mehr Menschen über den Kopf wachsen, war auch bei den Informationsveranstaltungen zu sehen. Erstmals seit Jahren hat die Kulmbacher Caritas heuer wieder dazu eingeladen und etliche Interessierte haben sich Rat geholt. Generell sind die Serviceleistungen der Schuldnerberatung zuletzt immer häufiger nachgefragt worden.

Erfreulich sei, dass heutzutage weniger junge Menschen in die Schuldenfalle tappen. "Unsere Schülerberatung scheint zu greifen", sagt Veronica Specht. Für Jung und Alt ist trotz unterschiedlicher Situationen die Kernfrage dieselbe: Wie schaffe ich es, meine Existenz zu sichern? Denn von der Verschuldung zur Zahlungsunfähigkeit ist es oft nur noch ein kleiner Schritt.

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