Trotzdem hat die Überschuldung der Verbraucher in Deutschland erneut abgenommen. Bundesweit verringerte sich die Zahl überschuldeter Privatpersonen um 69 000 Personen auf 6,85 Millionen, die Frankenpost berichtete. Die Überschuldungsquote sank leicht auf 9,87 Prozent. "Der vermeintlich positive Befund ist allerdings kein Zeichen der Entspannung", erklärte Patrik-Ludwig Hantzsch, der Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform. Er nannte die aktuelle Überschuldungsentwicklung auf den ersten Blick paradox. Das liege vor allem daran, dass die staatlichen Hilfsmaßnahmen die schlimmsten sozialen Auswirkungen abgemildert haben. Dennoch sei die Lage Besorgnis erregend.
Rund 700 000 Menschen hatten zwischenzeitlich den Arbeitsplatz verloren, bis zu 7,3 Millionen Menschen waren oder sind in Kurzarbeit und viele Menschen mit geringem Einkommen können ihrer selbstständigen oder teilberuflichen Tätigkeit nicht nachgehen, teilte Hantzsch mit. Schätzungsweise kämpfen derzeit zwei Millionen Freiberufler und Soloselbstständige um ihre Existenz und stehen am Rande einer Überschuldung.
"Viele verdienen gar nichts mehr", stellt Schuldnerberaterin Veronica Specht in den Gesprächen mit ihren Klienten fest. Bei der Kulmbacher Caritas melden sich die Menschen in finanzieller Notlage leider erst sehr spät. Viele glauben lange Zeit, dass sie es doch noch irgendwie alleine schaffen. "Ich hatte jetzt einen Klienten, dem eine Erzwingungshaft angedroht worden ist." Der Briefkasten quillt bei den Betroffenen über mit Rechnungen, Mahnschreiben und Post vom Gericht. Ungeöffnet wandern die Briefe dann in die Wohnzimmerschublade. "Man verdrängt die Situation und will sich dem nicht mehr aussetzen. Das macht etwas mit den Leuten und führt zu einer psychischen Problematik."
Die Diplomsozialpädagogin rät dringend dazu, so früh wie möglich das Gespräch mit der Beratungsstelle zu suchen. Die Profis können dann darum kümmern und zielgerichtet die Verhandlungen mit den Gläubigern führen. "Das ist unser Kerngeschäft", sagt Veronica Specht. Sie gibt zu bedenken, dass jeder Fall sehr individuell sein kann. Zunächst muss sich die Beraterin einen detaillierten Überblick über Einkünfte und Ausgaben und alle finanziellen Verhältnisse ihres Klienten verschaffen. Ohne die Mitarbeit des Betroffenen sei das unmöglich. Die aktuell gesunkene Überschuldungsquote sei womöglich nur die Ruhe vor dem Sturm. "Wir rechnen damit, dass die Pleitewelle 2021 kommt." Die staatlichen Corona-Hilfen sind angekommen und haben heuer die Lage stabilisiert.
Im kommenden Jahr wird es eine ganze Reihe von Insolvenzanträgen geben. Das habe unter anderem damit zu tun, dass als Folge der Corona-Krise ein neues Gesetz in Arbeit ist. Darin soll geregelt werden, dass die Wohlverhaltensperiode im Insolvenzverfahren von derzeit sechs auf künftig drei Jahre verkürzt wird. Wer kann, der verschiebt seine Insolvenz deshalb aufs kommende Jahr. "Die Anträge stapeln sich", sagt die Beraterin.
Dass die Schulden mehr und mehr Menschen über den Kopf wachsen, war auch bei den Informationsveranstaltungen zu sehen. Erstmals seit Jahren hat die Kulmbacher Caritas heuer wieder dazu eingeladen und etliche Interessierte haben sich Rat geholt. Generell sind die Serviceleistungen der Schuldnerberatung zuletzt immer häufiger nachgefragt worden.
Erfreulich sei, dass heutzutage weniger junge Menschen in die Schuldenfalle tappen. "Unsere Schülerberatung scheint zu greifen", sagt Veronica Specht. Für Jung und Alt ist trotz unterschiedlicher Situationen die Kernfrage dieselbe: Wie schaffe ich es, meine Existenz zu sichern? Denn von der Verschuldung zur Zahlungsunfähigkeit ist es oft nur noch ein kleiner Schritt.