Kulmbach Bäcker-Innung warnt vor Verbrauchertäuschung

Stefan Linß
Der Nutri-Score klärt in mehreren europäischen Ländern über die Nährwertzusammensetzung auf. Eine solche Lebensmittelampel zeigt dem deutschen Butterbrot Rot, weil es angeblich zu viel Salz und Fett enthält. Die Kulmbacher Bäckerinnung findet eine solche Kennzeichnung wenig hilfreich. Fotos: Stefan Linß Quelle: Unbekannt

Obermeister Ralf Groß von der Kulmbacher Bäckerinnung hält die geplante Lebensmittelampel für Verbrauchertäuschung. Er warnt vor den Tricks der Industrie.

 
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Kulmbach - Auf einen Blick könnte der Kunde erkennen, ob er ein gesundes Lebensmittel vor sich hat. Das neue Logo zeigt in den Ampelfarben die Zusammensetzung aus Zucker, Fett und Salz an. Bester Wert ist der Buchstabe A in Kombination mit der Farbe Grün. Bei unausgewogener Nährwertzusammensetzung springt die Ampel auf Gelb oder sogar auf Rot. Ob das eine große Hilfe für den Verbraucher ist? Ralf Groß, der Obermeister der Kulmbacher Bäckerinnung, hält die Idee für Humbug.

Die neue Kennzeichnung

Die Bundesregierung sieht einen Bedarf, die Nährwertkennzeichnung auf Lebensmitteln zu erweitern. Wie das Bundesernährungsministerium mitteilt, sind in Deutschland 47 Prozent der Frauen, 62 Prozent der Männer und 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig. Zu viel Zucker, Fette, gesättigte Fettsäuren und zu viel Salz seien nicht die einzigen, aber wichtige Gründe für die Entstehung von ernährungsmitbedingten Krankheiten wie Übergewicht oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Nach Ansicht des Ministeriums ist deshalb ein vereinfachtes, erweitertes Nährwertkennzeichnungs-System ein wichtiger Baustein für gesunde Ernährung: Wenn Verbraucher einfach erkennen können, wie ein Lebensmittel hinsichtlich der Nährstoffe beschaffen ist, fällt die Orientierung leichter und die gesunde Wahl wird einfacher. Eine verständliche Darstellung auf der Vorderseite der Lebensmittel könne so die Produktauswahl und damit die Nährstoffzufuhr ernährungsphysiologisch günstig beeinflussen.

Bundesernährungsministerin Julia Klöckner strebe daher eine Kennzeichnung an, die klar ist, sich an der Lebensrealität der Verbraucherinnen und Verbraucher orientiert und auf vielen Lebensmitteln zur Anwendung kommt. Die Kennzeichnung muss auf einen Blick für Verbraucher verständlich sein.

Daher bezieht das Ministerium die Verbraucher in die Entscheidung ein. Von Juli bis September dieses Jahres hat ein Meinungsforschungsinstitut Bürger gefragt, welches der vier zur Wahl stehenden Modelle sie präferieren. Die Entscheidung soll im Oktober bekannt gegeben werden.

Frankreich nutzt bereits den sogenannten Nutri-Score. Auch Belgien und die Schweiz machen mit. Ob Deutschland folgt oder ein anderes Modell einführt, soll sich im Oktober entscheiden. Das Bundesernährungsministerium hat die Bürger über unterschiedliche Lebensmittelkennzeichnungen befragen lassen. Verbraucherorganisationen und Mediziner sprechen sich für den Nutri-Score aus. Ganz anderer Meinung ist Ralf Groß. "Mit diesem System kann der Verbraucher bewusst getäuscht werden", warnt der Obermeister.

Das Thema Ernährung ist komplex. Um es begreifbarer zu machen, nennt Groß ein Beispiel aus den Kulmbacher Handwerksbäckereien. "Wir schroten unser Mehl", sagt er. Weil Backwaren aus dem groberen Schrot im Vergleich zu Produkten aus feinem Mehl im Körper länger verdaut werden müssen, komme das Hungergefühl erst viel später zurück. "Wer Butter auf dem Brot isst, bremst den Übergang der Kohlenhydrate ins Blut noch stärker", erklärt Groß.

Die Butter werde von vielen Menschen regelrecht verteufelt. Dabei sei sie in Kombination mit Backwaren ideal, sagt der Innungsobermeister. Fette gelten als Sattmacher und können verhindern, dass der Blutzuckerspiegel nach oben schießt. "Ein permanentes Hungergefühl kommt vom falschen Essen." Schnell verdauliche Lebensmittel wie beispielsweise fluffige Hamburger-Brötchen enthalten womöglich viele Nährstoffe, versorgen die Zellen im Körper aber nur kurzzeitig.

Die geplante Lebensmittelampel würde trotzdem jedem Vollkornbutterbrot die Farbe Rot zeigen. "Im Brot sind zwei Prozent Salz. Das wird schon seit Jahrtausenden so gemacht, sonst schmeckt es nicht", sagt Ralf Groß. Die neue Nährwertkennzeichnung erlaube nur ein Prozent Salz. Der Kulmbacher Bäckermeister glaubt, dass die Industrie das Salz durch den Ersatzstoff Kalium austauschen könnte. Dann stehe die Lebensmittelampel bei deren Produkten zwar auf Grün, aber der gesundheitliche Nutzen für den Konsumenten sei fraglich.

Ein weiteres Problem industriell gefertigter Produkte sei in vielen Fällen die Verwendung von Einfachzucker wie Glucose oder Fructose. In der Handwerksbäckerei braucht der Brötchenteig drei Stunden. Das sei genug Zeit für die Bakterien und Pilze, den Einfachzucker zu fressen. In Industriebrötchen, die viel schneller hergestellt werden, können hingegen viele Einfachzucker enthalten sein.

"Ich könnte auch meinen Biskuitteig ohne Haushaltszucker herstellen", sagt Ralf Groß. Stattdessen wären dann Austauschstoffe wie Sorbit oder Maltit enthalten. Diese schmecken genauso süß, seien schnell verdaulich und belasten dabei die Leber. Trotzdem dürfte Groß solch eine Biskuitrolle als "zuckerfrei" bezeichnen. Bei ihm werde es so ein Produkt nie geben, bei Industriewaren zeige sich ein ganz anderes Bild.

Der reine Zucker-, Fett- oder Salzgehalt sage wenig darüber aus, ob das Lebensmittel gesund ist. Beim französischen Nutri-Score werden günstige und ungünstige Nährwertbestandteile miteinander verrechnet. Mit vermeintlich gesunden Inhaltsstoffen können ungesündere ausgeglichen werden. Somit ist es möglich, dass die Tiefkühlpizza oder das fertige Hähnchen-Gericht auf der Skala als Grün gekennzeichnet werden. "Überspitzt ausgedrückt wird mit Brokkoli und Karotten auf der Pizza aus dem Rot ein Grün", sagt der Innungsobermeister.

Die Industrie hat in Deutschland bereits damit begonnen, Fertigprodukte freiwillig mit dem Nutri-Score zu deklarieren. "Warum machen die das wohl? Da muss man doch hellhörig werden", betont Groß. In Frankreich greifen die Verbraucher verstärkt zu den Lebensmitteln mit der grünen Ampelfarbe, weil sie denken, sie tun ihrer Gesundheit etwas Gutes. Aber oft sei genau das Gegenteil der Fall. Die Industrie finde Wege, die Nährwertkennzeichnung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Und der Kunde werde noch mehr hinters Licht geführt, befürchtet Ralf Groß.

Das neue System der Nährwertkennzeichnung sollte auf die Verdaulichkeit der Inhaltsstoffe ausgerichtet sein, fordert der Obermeister. Die heimischen Handwerksbäcker haben etwas dagegen, ihre Kunden krank zu machen. "Deshalb können wir die Ampel nicht auf Grün schalten", sagt Ralf Groß.

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