Ein weiteres Problem industriell gefertigter Produkte sei in vielen Fällen die Verwendung von Einfachzucker wie Glucose oder Fructose. In der Handwerksbäckerei braucht der Brötchenteig drei Stunden. Das sei genug Zeit für die Bakterien und Pilze, den Einfachzucker zu fressen. In Industriebrötchen, die viel schneller hergestellt werden, können hingegen viele Einfachzucker enthalten sein.
"Ich könnte auch meinen Biskuitteig ohne Haushaltszucker herstellen", sagt Ralf Groß. Stattdessen wären dann Austauschstoffe wie Sorbit oder Maltit enthalten. Diese schmecken genauso süß, seien schnell verdaulich und belasten dabei die Leber. Trotzdem dürfte Groß solch eine Biskuitrolle als "zuckerfrei" bezeichnen. Bei ihm werde es so ein Produkt nie geben, bei Industriewaren zeige sich ein ganz anderes Bild.
Der reine Zucker-, Fett- oder Salzgehalt sage wenig darüber aus, ob das Lebensmittel gesund ist. Beim französischen Nutri-Score werden günstige und ungünstige Nährwertbestandteile miteinander verrechnet. Mit vermeintlich gesunden Inhaltsstoffen können ungesündere ausgeglichen werden. Somit ist es möglich, dass die Tiefkühlpizza oder das fertige Hähnchen-Gericht auf der Skala als Grün gekennzeichnet werden. "Überspitzt ausgedrückt wird mit Brokkoli und Karotten auf der Pizza aus dem Rot ein Grün", sagt der Innungsobermeister.
Die Industrie hat in Deutschland bereits damit begonnen, Fertigprodukte freiwillig mit dem Nutri-Score zu deklarieren. "Warum machen die das wohl? Da muss man doch hellhörig werden", betont Groß. In Frankreich greifen die Verbraucher verstärkt zu den Lebensmitteln mit der grünen Ampelfarbe, weil sie denken, sie tun ihrer Gesundheit etwas Gutes. Aber oft sei genau das Gegenteil der Fall. Die Industrie finde Wege, die Nährwertkennzeichnung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Und der Kunde werde noch mehr hinters Licht geführt, befürchtet Ralf Groß.
Das neue System der Nährwertkennzeichnung sollte auf die Verdaulichkeit der Inhaltsstoffe ausgerichtet sein, fordert der Obermeister. Die heimischen Handwerksbäcker haben etwas dagegen, ihre Kunden krank zu machen. "Deshalb können wir die Ampel nicht auf Grün schalten", sagt Ralf Groß.