Kulmbach - Rechtzeitig zum 20-jährigen Bestehen des Bayerischen Brauereimuseums ist es da. 35 Jahre hat Bernd Winkler für sein Bierbuch recherchiert, Archive abgeklappert, Handelsregister, Branchenbücher, Aktienverzeichnisse durchstöbert und mitunter der Konkurrenz Flohmarkt-Raritäten weggeschnappt. Das Ergebnis kann man nur bewundern: Winkler hat sein Lebenswerk vorgelegt mit der Neubearbeitung seines Buches "Das Bierbrauen in Kulmbach".

In der "heimlichen Hauptstadt des Bieres" herrscht nun wirklich kein Mangel an Bier-Literatur, mal wissenschaftlich seriös, oft süffige Bier-Belletristik. Winkler ist an einer systematischen Darstellung des wichtigsten Wirtschaftszweigs in Kulmbach gelegen. Er deckt alle Facetten der 800-jährigen Biergeschichte ab. Sachlich, verlässlich, gut lesbar, abgesichert mit Zahlen, Tabellen und Diagrammen. Winkler lässt Fakten und reichhaltig eingelagerte Quellen sprechen, in seinen Bewertungen ist er sehr zurückhaltend. Lexikalische Nüchternheit einerseits, reichhaltige Illustrationen andererseits: Das Buch enthält tolle Bilder, darunter viele erstmals veröffentlicht, Grafiken, Lagepläne, Werbeplakate und Nippes. Winkler hat das Glück, mit Günter Menzner einen Grafiker gefunden zu haben, der die gute alte Buchkunst beherrscht.

Die ersten Humpen

Die Erstauflage, die nach dem Erscheinen 1987 rasch vergriffen war, ist erheblich erweitert worden. Neu sind die Anfänge des Bierbrauens in Kulmbach. Vermutlich hatten die Augustiner, die im 14. Jahrhundert zwischen Main und heutiger Webergasse ein Kloster errichtet haben, auch ein Brauhaus, doch belegen lässt sich dies nicht: Die Stiftungsurkunde von 1349 nennt nur sakrale Anlagen die "weltliche" Ausstattung fehlt. Den Nachweis für "Mönchsbier" in Kulmbach erhält man erst nach der Zerstörung des Klosters im Bundesständischen Krieg. Die Inventar-Beschreibung der Brand-Ruine von 1557 enthält die genauen Ausmaße des Brauhauses: 119 Schuh (40 Meter) lang; damit länger als das Klostergebäude selbst (102 Schuh). Eine Größe, die einen beträchtlichen Bierausstoß vermuten lässt. Für Winkler liegt nahe: Das Bier hat nicht nur dem Eigenverbrauch der Patres gedient, sondern es hat unter den Bürgern zahlreiche Liebhaber des Klostertrunks gegeben. Wann der erste Bier-Humpen auf der Plassenburg geleert worden ist, lässt sich nur vage sagen. Vermutlich um 1230. Zu diesem Zeitpunkt haben die Andechs-Meranier Neu-Plassenburg errichtet, gleichzeitig erhält die Marktsiedlung "culma" das Stadtrecht verliehen. Im 16. Jahrhundert jedenfalls wurde auf der Plassenburg gewaltig gebechert. Die Kellerordnung des Markgrafen Albrecht Alcibiades von 1542 verzeichnet für den Hofstaat mit 80 Personen täglich 90 Liter Wein und über 170 Liter Bier. Der Verbrauch an der Fürstentafel ist darin noch gar nicht enthalten.

Die brauende Bürgerschaft

Das Kernstück seines ersten Bierbuchs - die brauende Bürgerschaft und die frühen Brauhäuser - hat Winkler erweitert. Die Zahlen sind beeindruckend: 1882 gibt es 47 Braugeschäfte in der Stadt, davon exportieren 21 von ihnen ins "Ausland". Die Menge entspricht immerhin 21 Prozent des gesamten bayerischen Bierexports. Danach setzt eine rasche Konzentration ein. Zum Ende des Ersten Weltkriegs existieren nur noch sieben Brauereien: Einsam an der Spitze liegt dabei die EKU, gefolgt von der Reichel, Petzbräu, Rizzi, Sandler, Mönchshof und Markgrafen. Winkler erweckt die großen Gründerzeit-Figuren zum Leben, die Stadtgeschichte schrieben: Lorenz und Georg Sandler, Carl Rizzi, Carl Petz, Heinrich Hering, Leonard Eberlein, Louis Weiß. Seine besondere Sympathie jedoch gilt zwei mutigen, zupackenden Frauen, die als Witwen ihren verstorbenen Männern in nichts nachstehen: Margaretha Reichel und Margaretha Sandler.

Die große Neuentdeckung Winklers ist Michael Täffner, dem er ein eignes Kapitel widmet. Täffner war der hochbegabte Sohn eines Metzgermeisters, der am Bayreuther Ernestinum ein glanzvolles Abitur hinlegt und danach Jura studiert. Er übernimmt das Kommunbrauhaus II in der Webergasse. Wegen seiner Fähigkeiten wird er vom Aufsichtsrat der 1872 in Dresden gegründeten Ersten Kulmbacher Actien-Exportbier-Brauerei zum Vorstand berufen. 28 Jahre ist er ihr Top-Manager. Täffner siedelt die EKU in der Stadtmitte an, auf dem heutigen Zentralparkplatz. Unter seiner Führung wird sie nicht nur zum größtem Unternehmen der Stadt, sondern auch zur größten bayerischen Brauerei außerhalb Münchens. Als Magistratsrat drückt er der Kulmbacher Wirtschaft und Lokalpolitik seinen Stempel auf. In seiner feudalen Villa am Kressenstein nehmen auch zwei prominente Staatsgäste Logie: Prinz Ludwig, später König Ludwig III. (1892) und Prinz Rupprecht (1897).

Ausführlich dargestellt werden die Arbeitsbedingungen, Löhne und Rechte der Kulmbacher Brauereiarbeiter vor dem Ersten Weltkrieg. Winkler stützt sich hierbei auch auf die 2001 erschienene Dissertation von Thomas Hofmann, Sohn des Alt-Landrats. In der 10 000-Einwohner-Stadt sind zirka tausend Arbeiter in der Brauindustrie beschäftigt, viele weitere im Brau-Nebengewerbe. Die Löhne für die Arbeiter sind mit 1,70 Mark am Tag äußerst mager. Die Erste Actien bildet eine Ausnahme - sie zahlt bessere Löhne, bietet Sozialleistungen und beugt damit sozialen Spannungen vor.

Bierdieb hingerichtet

Aus der NS-Zeit sind zwei der geschilderten Vorgänge besonders brisant: Am 8. September 1942 verhängt das Bayreuther Sondergericht ein Todesurteil gegen einen 30-jährigen Brauereiarbeiter. Es wird vier Wochen später vollstreckt. Er hatte sechs Kisten und ein Fass "Afrikabier" - ein für das Afrikakorps bestimmtes, hochprozentiges Bier - gestohlen und an eine Kulmbacher Gastwirtschaft verkauft. Ende 1944 ziehen die "Südwerke", ein ausgelagerter Betrieb des Rüstungsherstellers Krupp, in die Gebäude der EKU gegenüber dem Bahnhof. Bis Kriegsende werden Fahrzeuge für die Wehrmacht hergestellt, danach produzieren die zirka 1250 Mitarbeiter zivile Nutzfahrzeuge. 1952 wird das Werk nach Essen rückverlagert.

Brauereien-Sterben

1980 beginnt der zweite große Konzentrationsprozess in der Geschichte der Kulmbacher Brauereien: Die Reichel übernimmt die Sandler und kooperiert mit der Mönchshof. Anfang der 1990er-Jahre kommt die Erste Kulmbacher, einst Flaggschiff der hiesigen Brauindustrie, immer mehr ins Trudeln. 1996 erwirbt die Reichel die EKU. Ein Jahr später erfolgt die Umfirmung in Kulmbacher Brauerei AG. Die Hauptaktionäre des Konzerns - die Unternehmensgruppe Schörghuber - sitzen in München. Für Winkler ist der Zusammenschluss betriebswirtschaftlich zwingend und ökonomisch notwendig. Bis heute gibt es auch kritische Stimmen, die den Verlust an Vielfalt und Identität beklagen. Kulmbachs Brauerei-Zukunft sieht Winkler optimistisch. Nicht zuletzt wegen der angestammten Absatzgebiete Sachsen und Thüringen, in die nach der Wiedervereinigung wieder geliefert werden kann.

Das abschließende Kapitel widmet sich der Bier- und Braukultur heute. Die ganze bunte Palette der Aktivitäten wird vorgestellt: Das Bayerische Brauereimuseum im Mönchshof, die Ausbildung der Brauer und Mälzer an der Hans-Wilsdorf-Schule, die Kommunbräu mit ihrer 20-jährigen Erfolgsgeschichte, die "Gramppus"-Hobbybrauer in Himmelkron, die Führungen durch die historischen Felsenkeller und natürlich Kulmbachs Mega-Event: das Bierfest.