Kulmbach Das Publikum herbeitrommeln

Klaus Klaschka

Der Percussion-Meisterkurs von Claudio Estay zeigt bei einem Konzert in Kulmbach, wie vielfältig Schlaginstrumente sein können. Coronabedingt kommen allerdings nur wenige Zuhörer.

 
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Kulmbach - "Jeder Tag, an dem wir auf der Bühne stehen, ist ein besonderer Tag", sagte Claudio Estay am Samstagabend zu Beginn des Konzerts seines Meisterkurses in der Dr.-Stammberger-Halle. Damit deutete er die schwierige Situation von Musikern wie auch Theaterleuten an, deren Auftritte in der Corona-Pandemie erschwert bis überhaupt nicht möglich sind. Die Künstler befürchten, dass Theater- wie auch Konzertbesucher sich noch längere Zeit vorsichtshalber von Live-Veranstaltungen fernhalten könnten. Tatsächlich waren auch in Kulmbach die ohnehin schon sehr ausgedünnten Sitzreihen nur zur Hälfte besetzt. Auch zu seinem sonst gut frequentierten Meisterkurs im Haus Marteau, der Internationalen Musikbegegnungsstätte in Lichtenberg unweit Bad Steben, konnten in diesem Jahr nur Studenten aus dem Inland kommen.

Claudio Estay, gebürtiger Chilene, war Schüler, dann Assistent und ist nun Nachfolger des 2016 verstorbenen phänomenalen Schlagzeugers Peter Sadlo. Man habe eine Woche in Lichtenberg fast durchgehend geprobt, berichtete Estay: Johannes Kaul, Johannes Kilian, Elias Doggenweiler Menkhaus, Giovanni Nardo sowie Leon Lorenz. Aus den Proben war ein durchaus exquisites Programm für die Stammberger-Halle entstanden.

Obwohl Schlagzeuge, also Körper, die durch Aufschlagen zum Klingen gebracht werden, die neben Flöten ältesten Musikinstrumente sind, so werden sie solistisch oder in Gruppen erst spät in der Musikgeschichte eingesetzt. Pauken und Trommeln dienten nur zur gelegentlichen rhythmischen Unterstützung von anderen Instrumenten. Deshalb müssen sich Schlagzeuger Stücke selbst zurechtlegen, wenn sie weiter in die Historie zurückgehen wollen. Mozart wäre nie auf die Idee gekommen, etwas nur für Schlagzeug zu schreiben - und Bach schon gar nicht.

Dennoch begann das Ensemble mit der Ouvertüre zu Mozarts Zauberflöte, die Estay selbst für Perkussionsinstrumente gesetzt hatte. Dabei befremdete es keinesfalls, die spitzen Geigentöne nun von Marimbas zu hören, die das Stück eher noch neckischer zum Klingen bringen konnten als im Original. Selbst von Musikpuristen kritiklos zu akzeptieren war auch die 14te und letzte Fuge aus Bachs "Kunst der Fuge", denn Bach hatte sein letztes Werk, ein Kompendium der polyphonen Musik überhaupt, nur als abstrakte mehrstimmige Komposition ohne Instrumentierung hinterlassen - und ist somit auch ganz legal für Perkussionsinstrumente zu spielen.

Die glasklare Interpretation durch Estays Meisterschüler-Ensemble bestach zudem durch einen musikdramatischen Einfall, der nach dem letzten Ton den Saal in absolute Stille hüllte: Nachdem Bach mit seinem Namen und den Tönen B-A-C-H das Stück quasi signiert und dies mit den beiden anderen Themen der Fuge kombiniert hat, bricht das Manuskript ab - wobei alle Musiker wie zu Säulen in ihrer letzten Bewegung erstarrten. Minutenlang. Und wer die Werkgeschichte kennt, der mochte sich dabei vielleicht an die abschließende handschriftliche Notiz in der Partitur nach der letzten Note erinnern: "Ueber dieser Fuge, wo der Nahme B A C H im Contrasubject angebracht worden, ist Der Verfaßer gestorben."

Weniger pathetisch dagegen die anderen Stücke. Durchaus witzig die akustische Satire von Wolfgang Reifeneder: "Mischen Possible" für Kartons, Tisch und vier Kartenspieler, das mit einem rauschenden Kartenmischen begann und sich zu einem leidenschaftlichen rhythmischen Kartenspiel entwickelte. Denn wenn der Ober den Unter sticht, klingt das nicht viel anders als Trommeln. Und auch Pauken können mehr als Bumm-bumm. Zumindest, wenn sie mit Pedalen versehen sind, durch die man deren Membran umstimmen und damit Melodien spielen kann: So zu hören war ein Menuett von Bach und ein Stück von Edvard Grieg - etwas mulmig zwar, aber durchaus reizvoll.

Drei Originalwerke aus jüngerer Zeit demonstrierten im Programm dann aber, dass es nun auch Originalkompositionen ausschließlich für Perkussionsinstrumente gibt: Lyrisch "Esegesi" von Roberto Bocca für Vibraphon solo (Giovanni Nardo), hoch virtuos ein weiteres Solostück meisterlich auf mehreren Instrumenten gespielt von Leon Lorenz: "Rebonds B" von Iannis Xenakis. Schließlich vom gesamten Ensemble "Gainsborough" des Amerikaners Thomas Ganger, das mit wenigen Jazzelementen vor allem weiche Harmonien pflegt mit einer an sich wenig üblichen Kadenz am Vibraphon im langsamen Satz.

Mit der Zugabe sprang das Ensemble um Claudio Estay zurück in die Ursprünge der Musik überhaupt - und entließ sein Publikum mit einem feurigen Stück auf afrikanischen Instrumenten.

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