Die Kindergärtnerin ist wie betäubt. In den ersten Wochen nach dem Unfall ist sie damit beschäftigt, mit den Versicherungen und Behörden zu sprechen und Gelder zu beantragen. "Man funktioniert einfach", sagt sie. Seit Oktober hat Beate Probst kaum eine Nacht durchgeschlafen - immer wieder schreckt sie aus ihren Träumen hoch. Dennoch ist es ihr ein Bedürfnis, jeden Tag zu ihrem Mann ins Krankenhaus nach Bayreuth zu fahren. "Wenn ich bei meinem Mann am Bett sitze, kann ich endlich wieder etwas zu mir kommen", sagt sie. Denn das einzige, was zurzeit für sie zählt, sind die gemeinsamen Stunden, die sie jetzt mit ihrem Mann verbringen kann. Sie unterhalten sich viel, sprechen auch über Dinge, über die sie vor dem Unfall nicht gesprochen hätten. "Unsere Bindung ist viel stärker geworden", sagt Beate Probst. Sie bewegt seine Beine und cremt ihn ein.
Abends sitzt die Kindergärtnerin alleine auf dem Sofa. Das Haus fühlt sich leer an. Die größten Sorgen machen ihr die Finanzen. Sowohl sie als auch ihr Partner können derzeit nicht arbeiten. Die Versicherung zahlt erst in einem Jahr. Doch schon vorher müssen die beiden das Haus behindertengerecht umbauen lassen. Ohne Treppen- und Badlift, Handläufe und spezielle Rampen kann sich Stefan Probst in dem Haus nicht fortbewegen.
Für andere zu sorgen, liegt Beate Probst im Blut. Nach der Schule entschied sich Probst für eine Ausbildung zur Kindergärtnerin in Berchtesgaden. Vor 29 Jahren bekam sie die Stelle im Paul-Gerhard-Kindergarten in Kulmbach. Seither begeistert sie jeden Tag eines von neuem: "Das Lachen der Kinder und wie ihre Augen strahlen, wenn sie sich über etwas freuen." Doch seit einigen Monaten kann sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten.
Stefan Probst entschuldigt sich immer wieder bei seiner Frau für den Unfall. Doch davon will die 48-Jährige nichts hören. "Sicher, unser Leben ist jetzt anders als vorher - aber dafür kann er ja nichts", sagt sie. Vieles muss Stefan Probst neu lernen: Wie er sich im Rollstuhl fortbewegt, wie er nach Dingen greifen kann und auch, wie er sich regelmäßig im Bett dreht, um keine offenen Wunden zu bekommen. Stück für Stück erlernt er wieder die früher so selbstverständliche Selbstständigkeit.
Das erste Mal nach Hause darf Stefan Probst an Weihnachten. Der Bruder der 48-Jährigen baut extra eine Rampe, damit der Rollstuhlfahrer in das gemeinsame Haus kommt. Eigentlich steht Beate Probst nicht der Sinn nach Weihnachten. Das sonst so festlich dekorierte Haus bleibt trist und leer. Doch der anstehende Besuch verleiht ihr Auftrieb. Sie kauft einen Weihnachtsbaum und schmückt ihn mit Lichterketten und Christbaumkugeln. Allein das freudige Strahlen in den Augen ihres Mannes war ihr die Mühe wert. Auch wenn ihr Mann auf dem Sofa schlafen muss, ist der Besuch aus Sicht der 48-Jährigen das beste Geschenk. "Ich habe die Hoffnung, dass seine Lebensfreude wieder zurückkommt, wenn er merkt, wie mobil er ist", sagt die 48-Jährige.
Für Beate Probst ist allerdings klar: "Einfach wird es nicht werden." Seit ihrer Krankheit und dem Unfall leben die beiden von Krankengeld, die letzten Ersparnisse des Paares sind aufgebraucht. Allein für den Lift vom Erdgeschoss in das obere Stockwerk müssen die beiden 18 000 Euro zahlen. Für jedes weitere Stockwerk müssten sie zusätzlich noch 10 000 Euro zahlen. Doch damit nicht genug. In wenigen Monaten brauchen die beiden ein behindertengerecht ausgestattetes Auto. Denn Probst ist fest entschlossen, wieder in dem Bayreuther Büro zu arbeiten, in dem er bis zu seinem Unfall tätig war. Doch auch der Umbau des Fahrzeugs wird teuer. Aber Stefan Probst möchte keine Almosen. Seine Frau hingegen sagt: "Wir brauchen Hilfe, sonst schaffen wir es einfach nicht."