Kulmbach Kein Kümmel für Kulmbachs Kult-Brötchen

Stefan Linß

Einem unbekannten Bäcker gelingt im 19. Jahrhundert die besondere Kreation. Sein Bratwurststollen ist seitdem in aller Munde und eine Spezialität in der Genussregion.

 
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Kulmbach - Kulmbach Bratwürste im Stollen? Die auswärtige Kundin blickt ziemlich angewidert und will wissen, ob die Kulmbacher wirklich ihre Würste in einem süßen Christstollen verspeisen. Die Bratwurstbraterin klärt das kulturelle Missverständnis auf. Beim Stollen handelt es sich um eine ureigene Kulmbacher Kreation. Die längliche Semmel gehört zum Kleingebäck, ist in der Regel aber doppelt so groß wie ein herkömmliches Brötchen. Über den Erfinder ist wenig bekannt. Ralf Groß, der Obermeister der Kulmbacher Bäckerinnung, hat sich auf Spurensuche begeben.

Die Serie

Deutschland ist Innovationsweltmeister, sagt das Weltwirtschaftsforum. Hierzulande gibt es die meisten Erfindungen und guten Ideen, die bis zur Marktreife erfolgreich entwickelt werden. Zahlreiche Kulmbacher haben in der Vergangenheit und bis heute mit ihren großen und kleinen Erfindungen zu diesem Erfolg beigetragen. Die Frankenpost stellt sie vor.

Der Teig aus Weizenmehl, Wasser, Roggenmehl, Salz, Malz und Hefe wird mit Liebe von Hand geschlagen, erklärt Groß. Ganz wichtig: Der Bratwurststollen ist mit Anis bestreut. Alte Rezepte führen zwar auch Kümmel als Zutat auf. Doch dieses Gewürz trifft nicht unbedingt den Geschmack der Kulmbacher. "Wir leben in einer Anis-Region", sagt der Bäckermeister im Gespräch mit der Frankenpost.

Auch anderswo, beispielsweise in Italien und Spanien, sind Anisbrötchen verbreitet. "Wir im Raum Kulmbach mögen das Gewürz", stellt Ralf Groß fest. Auch der ehemalige Landkreis Münchberg, das südliche Kronacher Land und Bayreuth gehören zu der Anis-Hochburg. Dieser regionale Geschmack zeige sich auch im Advent bei den Anis-Plätzchen. Die süßen Backwaren mit dem unvergleichlichen Aroma verkaufen sich außerhalb der Region wesentlich schlechter, sagt der Kulmbacher Obermeister.

In einem alten Protokollbuch der Kulmbacher Innung, das heute zum Fundus des Bäckerei- und Gewürzmuseums im Mönchshof gehört, hat Ralf Groß den Eintrag entdeckt. Im Jahr 1910 ist der Bratwurststollen dort zum ersten Mal erwähnt worden. "Ich vermute, dass er aber mindestens 150 Jahre alt ist", sagt der Bäckermeister.

Wer damals die Idee für das Brötchen hatte, ist nicht überliefert. "Es muss auf jeden Fall ein Bäcker aus der Stadt Kulmbach gewesen sein", sagt Groß. Denn nur dort wurden die entsprechenden Bratwürste gebraten. Damit die Würste nicht oben und unten aus dem Brötchen rausschauen und womöglich abbrechen, hat der Bäcker exakt nach deren Länge den passenden Stollen geschaffen. Wahrscheinlich ist das nach Absprache mit einem Metzger oder Bratwurstbrater geschehen.

Viele Genießer würden dem unbekannten Erfinder wohl gerne ein Denkmal setzen. Die Kulmbacher Dreieinigkeit aus Bratwürsten, Bratwurststollen und Senf lässt den Kennern das Wasser im Mund zusammenlaufen. Barbara Kink stammt aus Enchenreuth und wohnt heute in Landsberg. "Immer wenn ich nach Kulmbach komme, dann kaufe ich mir ein paar Bratwürste", erzählt sie. Sie liebt den Duft und den Geschmack und hält bei ihrer Runde durch die Stadt immer an der Bratwurstbude an. "So einen Stollen gibt es sonst nirgendwo", bestätigt Barbara Kink.

Verkauft werden wahlweise zwei oder drei Bratwürste im halben oder im ganzen Stollen. Fritz Dumler aus Kupferberg hat vor einigen Jahren in seiner Backstube außerdem den kleinen Bratwurststollen kreiert. Der Ministollen ist beliebt und fest etabliert und ergänzt seitdem das kulinarische Angebot.

Der klassische Bratwurststollen hat ein Gewicht von 100 Gramm, sagt Innungsobermeister Groß. Streng genommen handelt es sich deshalb nicht um einen Stollen, sondern um ein Stölla. Denn der Begriff "Stollen" steht für ein Brot und die Bezeichnung "Stölla" für ein Brötchen.

Wie die Genussregion Oberfranken mitteilt, ist in einem anderen Protokoll aus dem Jahr 1921 noch niedergeschrieben, dass der geschlagene Teig des Bratwurststollens mit Anis oder Kümmel bestreut wird. "Heute bäckt man den Bratwurststollen nur noch mit Anis", heißt es in der Spezialitätendatenbank. Ihn mit Kümmel zu würzen, sei 100 Jahre später einfach nicht mehr denkbar, sagt Ralf Groß. Der Anis-Stollen hat längst Kultstatus erreicht und ist nicht mehr wegzudenken.

Auch Besucher und Touristen stolpern in Kulmbach regelmäßig über das ganz besondere Brötchen. In Reiseberichten weisen die Autoren explizit auf den Bratwurststollen hin.

In früheren Zeiten galt Anis als Aphrodisiakum. Bekannter ist wohl seine Heilwirkung. Das Gewürz hilft bei Problemen mit Magen und Darm. Ihren Bratwurststollen als Heilstollen zu bezeichnen - so weit würden die Kulmbacher Bäcker jedoch nicht gehen.

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