Kulmbach - Zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein - dass Philipp Lahm den religiös-philosophischen Begriff "Kairos" kennt, habe ihn regelrecht geschockt, sagt Dr. Sebastian Poliwoda. Der Mental-Coach hat mit den Fußball-Nationalspielern Gespräche über Werte und über ihr Leben nach der Karriere geführt. Beim Kulmbacher Akademiegespräch erzählte der Münchner von einem nachdenklichen Kapitän Lahm und einem ehrlichen Mats Hummels. Poliwodas These: Im Leben wie im Leistungssport kommt es vor allem darauf an, selbstständig zu denken und sich nicht blenden zu lassen.

Seine philosophischen Gespräche hatten nun wirklich nichts damit zu tun, dass das deutsche Team im Halbfinale der Europameisterschaft ausgeschieden ist, versicherte der Autor und Berater auf die Frage seines Gesprächspartners Dietmar Gaiser. In der sechsten Auflage der Interviewreihe, organisiert von der Akademie für Neue Medien, versuchte der Moderator vom Bayerischen Rundfunk nichts Geringeres, als den Sinn des Lebens zu ergründen.

Den Sinn ihres Handelns können die Nationalspieler sehr gut einschätzen, weiß Poliwoda. Eines Tages habe Teammanager Oliver Bierhoff angerufen und ihn gebeten, den Fußballern etwas über das Thema Werte zu erzählen. "Das Profileben dauert bis zum Alter von 35. Über Geld müssen sie sich keine Gedanken machen, denn es gibt keinen Nationalspieler, der unter zehn Millionen schwer ist. Aber sie müssen sich überlegen, wie sie die Zeit nach ihrer Karriere gestalten, wenn ihr eigentliches Leben anfängt", sagt der Berater.

In allen Gesprächen habe sich gezeigt, dass das Geld für die Sportler gar keinen hohen Stellenwert mehr hat. Auf die Frage, was stattdessen wirklich wichtig ist im Leben, antwortete Bastian Schweinsteiger: "Die Gesundheit."

Schweinsteiger habe schon eine ordentliche Portion sogenannter Bauernschläue, sagt Poliwoda. "Dagegen könnte Philipp Lahm mit ein bisschen Training gut und gerne Regierungssprecher werden." Und Verteidiger Mats Hummels sei zwar eher der ruhige Typ. "Aber er sieht nicht umsonst so aus wie einer der drei Musketiere." Der Dortmunder äußere nämlich ganz unverblümt und sehr direkt seine Meinung. Entgegen anderer Ansichten besitze die Nationalmannschaft also sehr wohl noch starke Charaktere, meint Poliwoda.

Sein Credo lautet: Entschlossenheit zeigen und souverän sein, Eigenverantwortung übernehmen und selber denken. "Man benötigt eine philosophische Sonnenbrille, um sich nicht blenden und für fremde Zwecke instrumentalisieren zu lassen."

Ab und an müsse jeder ganz bewusst sein eigenes Leben hinterfragen. "Wo stehe ich? Und ist das, was ich tue, überhaupt mein Weg?", will Poliwoda wissen, der stellvertretender Direktor der Akademie der Bayerischen Presse ist.

"Manche Leute nennen Sebastian Poliwoda den Philosophen von München", sagt Gaiser. Er denke viel über sich und die Welt nach, was in München wahrlich nicht jeder tue. "Aber wie wird man denn nun glücklich?", fragt Gaiser. Entscheidend sei einmal mehr das eigene Hirn und das Herz, antwortet Poliwoda. Er selbst habe einen erfüllten Moment vor zwei Wochen erlebt in der Abgeschiedenheit Finnlands beim Angeln an einer Hütte am See.

In früheren Zeiten hätten ganz selbstverständlich die Großeltern die Werte vermittelt. Heute nehmen viele für sich das Thema in Anspruch. Auch Unternehmen denken darüber nach. Dort werde derzeit oft die Integrität betont und der Respekt gegenüber Kollegen und Freunden.

Ob im Profisport oder im Leben: Die Schnelllebigkeit erschwert die Momente des Innehaltens. Doch Poliwoda und Gaiser sind sich einig: Auf der Suche nach dem individuellen Sinn des Lebens lohnt es sich, hin und wieder einfach nachzudenken.

Man benötigt eine philosophische Sonnenbrille, um sich nicht blenden und für fremde Zwecke instrumentalisieren zu lassen.

Autor und Berater Sebastian Poliwoda