Dass die Schiefe Ebene von Anfang als militärisch hochbrisant eingeschätzt wird, erkennt man daran, dass das bayerische Kriegsministerium schon 1842, bei der Planung der Ludwig-Süd-Nord-Bahn, Sprengkammern an einigen Brücken vorsieht. Noch eineinhalb Jahrhunderte später hat sich das nicht geändert: Mitten im Kalten Krieg, 1984, werden an der engsten Stelle der Schiefen Ebene Pylonen aus Stahlbeton mit eingelagerten Sprengkammern hochgezogen, die heute noch gespenstisch in den Himmel ragen.
Patrouillen Tag und Nacht
Auch als nach dem Ersten Weltkrieg die Waffen schweigen, gilt die Steilrampe als attentatsgefährdet: Die "Bolschewisten", so glauben die Rechten, könnten Anschläge planen. Die Strecke Tag und Nacht zu bewachen, ist die Hauptaufgabe der "Einwohnerwehr" von Marktschorgast und Himmelkron. "Selbstschutzverbände" dieser Art sind nach dem Ersten Weltkrieg an vielen Orten entstanden. Es sind entlassene Frontsoldaten, die in ihrer Heimat ohne Beschäftigung dastehen. "Ruhe und Ordnung" wollen sie herstellen, den linken Revolutionären den Garaus machen.
Kampfzulage
Im November 1919 lassen sich in Marktschorgast 21 Mann rekrutieren, ein Jahr später stehen 90 "Schützen" auf der Soldliste: Sie erhalten 8,70 Mark täglich, zusätzlich 2,70 Mark Verpflegungs- und Kampfzulage. Mannschaftsführer ist der 33-jährige Unteroffizier Karl Pfeifer, vor dem Krieg Rentamt-Beamter.
Die Schiefe Ebene wird in sechs Streckenabschnitte unterteilt. Für jeden wird eine Doppelwache eingesetzt, die für drei Stunden Posten steht und danach abgelöst wird. Ein mit Fahrrad ausgerüsteter Meldegänger hält die Verbindung mit der Himmelkroner Patrouille (insgesamt 78 Mann), die die Strecke bis zur Streitmühle observiert. Die von den Hobbyhistorikern Rudolf Kurz, Peter Munk und Hans-Jürgen Schiphorst im Gemeindearchiv entdeckten Dokumente zeigen, dass die Einwohnerwehr regelrecht vor Waffen starrt: Allein in Marktschorgast stehen 600 Gewehre 98, 200 Karabiner und 800 Seitengewehre zur Verfügung.
Die Ortswehren sind eingebunden in den hierarchisch gegliederten Landesverband der "Einwohnerwehren Bayerns", der auf seinem Höhepunkt 1920 über 300 000 Männer unter Waffen hat. Marktschorgast und Himmelkron gehören - neben Kulmbach und Berneck - zum "Gau" Weißer Main. Die "Gauleitung" hat ihren Sitz in Stadtsteinach. Zusammen mit den Gauen Roter Main, Unterer Main, Regnitz, Jura, Frankenwald, Saale, Bayreuth und Bamberg bildet er den "Kreisverband" Oberfranken. Der wird von Bamberg aus durch einen "Kreishauptmann" befehligt. Dies ist Generalmajor a.D. Heinrich Weniger (1865-1938), ein kampferprobter Haudegen. Sein Stellvertreter als Kreishauptmann ist Major a.D. Freiherr Ludwig von Lerchenfeld (1869-1926), zugleich Befehlshaber des Gaus Weißer Main. Auch er ein Kriegsveteran, der für seine Verdienste mit Ehrentiteln ausgezeichnet worden ist. Im Privatleben ein passionierter Jäger, der heimatlichen Erde sehr verbunden: Er verfügt ausdrücklich, im Schlossgarten von Heinersreuth begraben zu werden und nicht in der Familiengruft der Kirche von Presseck.
Makabre Einladung
Der Glaube, durch Machtdemonstrationen die junge Weimarer Republik einzuschüchtern und die Rückkehr der Monarchie zu erzwingen, scheitert an der Regierung in Berlin genauso wie an den Alliierten.
Der Scheitelpunkt ist das "Erste Landesschießen", zu dem der "Landeshauptmann" Georg Escherich die lokalen Einwohnerwehren nach München einlädt. Der Zeitpunkt scheint günstig gewählt: das Oktoberfest 1920. Die Einladung, die im Gemeindearchiv Marktschorgast erhalten geblieben ist, ist ausgesprochen makaber. Sie ist einer Schießscheibe nachempfunden mit der Silhouette eines typischen "Bolschewisten". Die protzige Waffenschau von 40 000 Wehrmännern in München versetzt die alliierten Siegermächte in Rage. Ultimativ fordern sie den bayerischen Ministerpräsident Gustav von Kahr auf, die Einwohnerwehren zu entwaffnen. In Marktschorgast wie andernorts leisten sie zähen Widerstand, doch im Juni 1921 schlägt auch ihre Stunde. Die Patrouillen entlang der Schiefen Ebene werden eingestellt.