Kulmbach Wenn Großmutter glaubt, ein Kind zu sein

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Alle ziehen an einem Strang: Die Veranstaltung am Klinikum Kulmbach zum Welt-Alzheimertag ist ein großes gemeinsames Werk von vielen. Aufklärung über eine Krankheit, die alles verändert, steht dabei im Vordergrund.

 
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Kulmbach - Unvorstellbare Szenen spielen sich ab, wenn ein Menschen unter fortgeschrittenem Alzheimer oder einer anderen Demenzerkrankung leidet. Ehemänner erkennen nach 40 Jahren plötzlich ihre eigene Frau nicht mehr, Menschen irren hilflos durch Straßen, weil sie den eigentlich vertrauten Heimweg nicht mehr finden und Großmütter glauben plötzlich wieder, sie wären ein Kind, das spielen möchte. Für die Betroffenen ist Demenz ebenso verheerend wie für die Menschen in ihrem Umfeld. Das ganze Leben verändert sich, die Belastung ist oft kaum zu ertragen. Seit 1994 gibt es den Welt-Alzheimertag, der weltweit auf diese schreckliche Krankheit aufmerksam machen will, die viele Millionen Menschen heimgesucht hat. Allein in Deutschland erkranken jährlich 200 000 Menschen neu. Der Welt-Alzheimertag will aber auch Hoffnung machen und Möglichkeiten aufzeigen, welche Hilfen es gibt. Vor allem will er eins: Aufklären und so der Krankheit wenigstens die ärgsten Schrecken nehmen. Zahlreiche Hilfsorganisationen, Selbsthilfegruppen, und der Seniorenbeirat der Stadt Kulmbach haben sich zusammengetan und am Samstag im Klinikum Kulmbach mit Vorträgen und Infoständen ihren Beitrag geleistet, das Spektrum der Hilfe in unserer Region darzustellen und über Demenzerkrankungen zu informieren.

Mit einem beachtenswerten Vortrag trug Dr. Ralf-Herbert Kneitz, Leitender Oberarzt der Akutgeriatrie an der Fachklinik Stadtsteinach , zu einem besseren Verständnis für die Situation alter und womöglich bereits beginnend dementer Menschen bei, die im Krankenhaus behandelt werden müssen. Für einen solchen Menschen, womöglich älter als 80 Jahre und womöglich nie zuvor in einem Krankenhaus gewesen, stellt dies einen Einschnitt in sein Leben dar, den sich unbedarfte Dritte auf Anhieb gar nicht vorstellen können. Der Mensch kommt plötzlich in eine ungewohnte Umgebung, womöglich mit ihm völlig unbekannten anderen in einem Zimmer. Er stößt auf ungewohnte Schlaf- und Essenszeiten, findet seine gewohnten Rituale nicht mehr, trifft auf viele unterschiedliche, ihm völlig fremde Personen. Selbst das Bett ist anders; tückischerweise auch viel höher.

Allein diese vielen Faktoren bergen schon ein hohes Risiko. Der Spruch, jemand sei aus dem Krankenhaus "kranker" herausgekommen, als er hineingegangen ist, kommt leider nicht von ungefähr. "Von zehn alten Menschen, werden ein bis drei, einfach nur weil sie im Krankenhaus liegen, krank", weiß Dr. Kneitz. Das medizinische Personal tue zwar alles, um das zu verhindern. Ganz gelinge das aber nicht.

Dr. Kneitz führte einleuchtende Beispiele an. Bereits nach drei Tagen Bettruhe verliere der Körper etwa zehn Prozent seiner Muskelkraft. Das, die andere Betthöhe und ungewohnte, fremde Wege, zum Beispiel zur Toilette, erhöhten die Sturzgefahr von Senioren ungemein. Das Zusammensein vieler Menschen in einem Raum erhöhe die Gefahr von Infektionen. Durch das viele Liegen atmeten die Patienten seltener tief durch. Das wieder beeinträchtige die Lunge und berge die Gefahr einer Lungenentzündung.

Besonders schwer betreffe der Krankenhausaufenthalt alte Menschen, die bereits an einer beginnenden Demenz leiden: "Die ungewohnte Umgebung, die Wirkung von Medikamenten, eventuell dazu noch Schmerzen: All das zusammen erzeugt Angst", erklärte Dr. Kneitz und wies darauf hin, dass diese Angst bei Betroffenen zu regelrechten Verwirrtheitszuständen, im Fachjargon "Delir" genannt, führen könne.

Das kommt häufiger vor als man glaubt: Fünf von 100 Patienten im alter zwischen 65 und 69 Jahren erleiden einen solchen Verwirrtheitszustand. Bei den 70- bis 74-Jährigen sind es bereits neun, bei den 75- bis 79-Jährigen zwölf. Bei den 80- bis 90-Jährigen steigt die Zahl auf 24 und bei den über 90-Jährigen sind 50 Patienten betroffen. "Die Chance, heutzutage über 90 Jahre alt zu werden, ist sehr groß, aber leider auch die Chance, dann an Demenz zu erkranken."

Glücklicherweise verließen die allermeisten alten Menschen, auch mit Demenzerkrankungen, unbeschadet das Krankenhaus wieder. Aber man müsse eben auch sehen, was es für einen alten Menschen bedeute, in einem Krankenhaus zu liegen, in dem alles für ihn fremd ist, betonte Dr. Kneitz und warb um Verständnis, dass Patienten in dieser Stress-Situation furchtbar aufgeregt seien, nicht mehr wüssten, welcher Tag sei oder wo er sich befinde. Der Teufelskreis der möglichen Hospitalisierung müsse immer im Blick sein.

Zahlen steigen stetig

Die Zahlen sind erschreckend, die Tendenz noch mehr: 35 Millionen Menschen sind weltweit an Alzheimer oder Demenz erkrankt. In Deutschland sind es derzeit rund 1,4 Millionen Betroffene. Hochrechnungen haben ergeben, dass bis zum Jahr 2050 die Zahl der Menschen mit Demenz auf 115 Millionen angestiegen sein wird. Das liegt daran, dass es immer mehr alte Menschen gibt und dass die Menschen insgesamt älter werden. Christina Flauder, Vorsitzende des Seniorenbeirats in Kulmbach, hält angesichts dieser Entwicklung eine umfangreiche Aufklärung über diese Krankheit für das oberste Gebot.


Leben mit Alzheimer verändert ganze Familien

Leben mit Alzheimer verändere die Familien, die ihre erkrankten Angehörigen pflegen, stellte Oberbürgermeister Henry Schramm fest, der die Schirmherrschaft für die Kulmbacher Veranstaltung zum Welt-Alzheimertag übernommen hatte. "Diese Erfahrungen sind oft schmerzhaft", konstatierte der OB und betonte, es sei um so wichtiger, dass Betroffene als auch Angehörige und das Umfeld nicht alleine gelassen werden, sondern kompetente und unterstützende Anlaufstellen haben. Kulmbach könne sich freuen, dass es mit der Deutschen Alzheimer Gesellschaft und der Selbsthilfegruppe unter Leitung von Helga Kern, dem Klinikum Kulmbach, der Fachklinik Stadtsteinach und dem Seniorenbeirat sowie auch dem BRK und den Johannitern und weiteren Organisationen gleich eine ganze Reihe solcher kompetenter Anlaufstellen gebe. Diese Arbeit, sei es nun im Bereich der Beratung oder der Unterstützung in der Betreuung und Pflege, sei wertvoll, wichtig und unterstützenswert: "Nur wer mehr über diese tückische Krankheit weiß und sich informiert, der kann verstehen, wie schwierig es für Betroffene und deren Angehörige oft sein muss, mit dieser Diagnose Tag für Tag zu leben. Alzheimer ist eine Krankheit, die Betroffenen, aber auch uns als Gesellschaft knallhart die Grenzen des eigenen Lebens aufzeigt."


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