Auf ein Wort Das Missverständnis

Was ist objektiv? Um diese Frage, die gefühlt so alt ist wie der Journalismus, kreist derzeit eine Debatte in der Lehre. Tom Rosenstiel, US-Autor, Journalist, Medienkritiker und Geschäftsführer des American Press Institute, ist einer der meistbeachteten Vordenker in dieser Debatte.

 
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Die liegt zum Teil auch in der Black-Lives-Matter-Bewegung begründet. Wer einen anderen Hintergrund habe, nehme die Wirklichkeit anders wahr, heißt es da. Das will Rosenstiel nicht als unstrittig stehen lassen.

Er erinnert daran, dass seit Generationen die renommiertesten Journalisten wie David Halberstam, Homer Bigart, George Orwell und andere vor dem Unterschied zwischen politischer Stenografie und Journalismus und damit vor dem Risiko gewarnt haben, ein Sprachrohr für die Behörden oder anderes Establishment zu sein. Rosenstiel sieht gerade im US-amerikanischen Journalismus, aber auch in anderen Ländern die Gefahr, dass in den Nachrichtenredaktionen ein neues Missverständnis Fuß fasst, das das schon geschwächte journalistische System zerstören könnte, von dem allerdings die Demokratie entscheidend abhängt. "Dieses Missverständnis ist die Idee, dass, wenn wir Subjektivität annehmen, um ein missverstandenes Konzept von Objektivität zu ersetzen, auf magische Weise zur Wahrheit gelangt sind - dass alles, worüber ich leidenschaftlich bin und tief glaube, eine Art echte Wahrheit ist", schreibt er.

Moralische Klarheit, wie dies genannt wird, kann laut Rosenstiel falsch verstanden werden. Dann nämlich, wenn es die Journalisten dazu einlädt, zu denken, "dass eine Meinung eine wahrere oder moralischere Form der Berichterstattung ist". Das wäre in Gänze falsch. "Wenn Journalisten ein fehlerhaftes Verständnis von Objektivität durch Zuflucht in Subjektivität ersetzen und glauben, dass ihre Meinungen moralischer sind als echte Nachforschungen, geht der Journalismus verloren", warnt er.

Verlören Journalisten die Fähigkeiten, andere Sichtweisen zu verstehen und gingen nur eigenen Zielen nach, hätten sie die Aufgabe, die die demokratische Gesellschaft von der Presse verlangt, nicht mehr verstanden.

Tom Rosenstiel war in dieser Woche Gesprächspartner beim Online-Treffen der Organization of News Ombudsmen, dem weltweiten Netzwerk von Leseranwälten und Ombudsleuten, dem auch unsere Zeitung angehört. Kerstin Dolde

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