Marktredwitz Der Kopf kommt scheibchenweise

Seit Donnerstag ist die Ausstellung "Körper, die Lehre der Toten" im Egerland-Kulturhaus zu sehen. Die Besucher sind von den Exponaten beeindruckt.

 
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Marktredwitz - Alle paar Tage packen Jeremi und Daniel Sperlich Tote aus großen Holz- und Metallkisten und drapieren sie auf mit schwarzen Tüchern belegte Tische. Es ist eine bizarre Arbeit, der die beiden jungen Männer aus Norddeutschland nachgehen. Seit fünf Jahren touren sie mit der Ausstellung "Körper, die Lehre der Toten" durch Europa. Noch bis zum Sonntag sind die Körper-Exponate im Egerland-Kulturhaus in Marktredwitz zu sehen.

Wer sich einen Abklatsch der berühmten "Körperwelten" von Gunther von Hagen erwartet, wird wahrscheinlich enttäuscht. Reißerische Szenen gibt es bei der "Lehre der Toten" nicht. Es handelt sich vielmehr um eine Anatomie-Schau, bei der es um detaillierte Einblicke ins Innere des menschlichen Körpers geht. Klinisch steril wirken die Präparate, die von der Firma Corcoran Laboratories aus Michigan in den USA stammen. Dies ist der führende amerikanische Hersteller medizinischer Präparate für medizinische Fakultäten.

Ein Verdauungsapparat liegt auf einer Holzplatte: Magen, Leber, Dünndarm, Dickdarm, Anus. Keine drei Meter weiter ist die Entwicklung eines Fötus zum Baby zu sehen. In der achten Woche ist der werdende Mensch etwa so groß wie ein Euro-Stück, mit zwölf Wochen ist er auf etwa fünf Zentimeter angewachsen. Oben auf dem Tisch liegt das Baby. "Wer stellt denn sein Baby einer Körperschau zur Verfügung?", wundert sich eine Frau. Sie ist Krankenschwester am Klinikum Fichtelgebirge und sieht sich die Exponate wie rund 20 weitere Interessierte schon am Vormittag an. "Es ist etwas befremdlich hier, vor allem, da ich jeden Tag mit lebenden kranken Menschen zu tun habe." Dennoch sei die Schau interessant und vor allem lehrreich.

Genau dies begeistert auch eine 68 Jahre alte Marktredwitzerin, die einst ebenfalls im Krankenhaus gearbeitet hat. "Ich war allerdings Näherin, obwohl ich unheimlich gerne Krankenschwester geworden wäre." Zumindest ihre Tochter hat nun Mamas Traumberuf gelernt. "Mich haben schon die Lehrbücher fasziniert. Als ich erfahren habe, dass die Körper-Ausstellung nach Marktredwitz kommt, war klar, dass ich da hin muss." Jetzt ist sie hier - und tief beeindruckt. "Sehen Sie, die Bronchien, das ist doch ein Wunder", sagt sie. Tatsächlich wirken die luftleitenden Teile der Lunge ein wenig wie eine Koralle.

Genau dies ist das Besondere der Schau: Jedes Blutgefäß, jede Sehne in den einzelnen Körperteilen ist herausgearbeitet und genau zu sehen. "Da bekommt man erst eine Ahnung, wie präzise ein Chirurg arbeiten muss, wenn er einen Körper aufschneidet", sagt ein Mann und tippt eine vor ihm liegende Kniescheibe an. "Irgendwie wie Plastik, aber schon komisch, dass dies ein Mensch ist."

Das ist allen Besuchern bewusst. Die Körper stammen von Menschen, die ihre sterbliche Hülle für Lehr-Zwecke zur Verfügung gestellt haben. Etwa 20 000 Frauen und Männer entscheiden sich in den USA pro Jahr, mit ihrem Körper nach dem Ableben noch etwas Gutes zu tun.

Beinahe andächtige Stille herrscht im großen Saal des Egerland-Kulturhauses. Während im Hintergrund eine sakral anmutende Meditationsmusik läuft, flüstern die Besucher. Schockiert stehen sie etwa vor einer schwarzen Raucherlunge, während das gesunde Organ nebenan grauweiß ist.

Was mag das für ein Gefühl sein, täglich tote Körper zu präsentieren? Daniel Sperling, der seinem Cousin Jeremi Sperling hilft, ist nach wie vor beim Aufbau mulmig zumute. "Ohne Handschuhe geht gar nichts, und die Kinder lange ich gar nicht an", gesteht er. Nicht nachdenken, einfach handeln müsse er, wenn er die Hauthülle eines Körpers auffaltet oder den in 140 Scheiben geteilten Körper aufbauen muss, der in einem riesigen Glaskasten präsentiert wird. Jede Scheibe muss exakt auf ihrem Platz stehen - und das in der richtigen Position. Allein der Kopf, an dem Nase, Augen, eben alles zu sehen ist, besteht aus zehn Scheiben. "Damit wir nichts durcheinanderbringen, packen wir alle Körperscheiben immer in Abschnitten zusammen. Erst jetzt ist zu erkennen, dass es sich nicht nur um medizinisch interessante Scheiben handelt, sondern das Ganze tatsächlich ein menschlicher Kopf ist. Klingt gruselig, ist aber für Jeremi und Daniel Alltag. Den beiden jungen Männern aus Hamburg ist es ein Anliegen, dass die Körper pietätvoll präsentiert werden. Entsprechend ehrfürchtig behandeln sie die einzelnen Exponate.

Die Zuschauer sind von den Einblicken tief beeindruckt. "So etwas bekommt man sonst nie zu sehen", sagt ein Mann. Ob er seinen Körper auch für Lehrzwecke zur Verfügung stellen würde? "Ach, mich möchte sicherlich niemand haben. Aber eigentlich ist es egal, ob man mal verfault, verbrannt wird oder der Körper anderen zum Lernen dient", sagt er.

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