Helmbrechts Ende mit Herzschmerz

Mit dem farbenfrohen Geschäft in der Luitpoldstraße wollte Nicole Kielmann Hobby und Beruf verbinden, jetzt bleibt sie ohne "Ostherz" kreativ. Foto: cs

In Helmbrechts schließt der Woll-Laden "Ostherz" in bester Innenstadtlage. Nicole Kielmann hätte gerne weitergemacht, doch ihr fehlen Kunden, die gezielt vor Ort einkaufen.

 
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Helmbrechts - Ein eigenes Handarbeitslädchen - für Nicole Kielmann ist das schon immer der Traum schlechthin gewesen. "Jetzt darf ich ihn leben", schreibt sie 2015 euphorisch auf ihre Internetseite. In wenigen Tagen, am 23. Juni, wird sie ihn begraben müssen.

Bis dahin läuft der Räumungsverkauf, in den Regalen klaffen Lücken zwischen Wollknäueln, so farbenfroh wie Haare und Oberarm-Tattoos der Inhaberin. Der liebevoll gestaltete, kunterbunte Laden passt zu ihr. Und der Abschied schmerzt, betont sie. Schweren Herzens sei die Entscheidung gefallen. "Doch ich musste die Reißleine ziehen."

2015 hat sie das Geschäft für Wolle, Handarbeitsartikel und Dessous von Hannelore Herpich übernommen und in der Luitpoldstraße neu eröffnet. Viele Monate sei es gut gelaufen, erzählt sie, doch ab 2017 blieben immer mehr Kunden aus. Nicole Kielmann spricht von Umsatzrückgängen von 40 bis 60 Prozent. "Am Ende hätte ich Geld mitbringen müssen, um die Fixkosten für Miete und Versicherungen zu decken."

Schon vor ein paar Monaten hat sich die 39-Jährige um eine Alternative bemüht, arbeitet vormittags als Angestellte in Münchberg und öffnet den Laden nur nachmittags. Doch auch dieses Konzept konnte "Ostherz" nicht retten.

Ebenso wenig wie breit angelegte Werbung und eine starke Präsenz auf sämtlichen Kanälen: Facebook, Instagram und Homepage-Blognews. "Mehr geht nicht", bemerkt Kielmann. Doch das alles habe das veränderte Kaufverhalten der Kunden nicht beeinflussen können. Als Todesstoß fürs "Ostherz" bezeichnet sie das Internet und die Schleuderpreise der Discounter, die seit einiger Zeit vermehrt Wolle anbieten. "Die Qualität ist natürlich eine andere, aber es überwiegt dann doch die Geiz-ist-geil-Mentalität", hat sie festgestellt. Und auch die Bequemlichkeit, nicht vor die Tür zu gehen, sondern sich beliefern zu lassen.

Obwohl Handarbeit im Trend liegt, Strickkreise wie Pilze aus dem Boden schießen und das Internet voller Einträge von Stickerinnen ist, habe sie vom Boom nicht profitieren können. "Die Leute kaufen lieber online", bedauert sie - "und zwar auch die Leute, die zuvor bei einem Foto von meinen Sachen auf ,Gefällt mir' gedrückt haben." So sei es schwer, an junge Kunden heranzukommen - auch wenn man "ihre Sprache spreche", also die Kanäle bediene, die sie nutzen. "Und die Älteren, die nicht zum Discounter fahren und nicht im Internet bestellen, werden immer weniger."

Nicole Kielmanns Prognose für kleinere Innenstädte fällt deshalb düster aus. Sie mutmaßt, dass sich in wenigen Jahren nur noch Dienstleister und Gastronomie halten werden, keine Einzelhändler. "Das ist kein typisches Helmbrechts-Problem, das trifft alle." Die Geschäftsfrau spricht von einem Teufelskreis: Kunden bleiben weg, die Läden reduzieren ihr Angebot, weil sie für die Ware in Vorleistung gehen müssen, dadurch haben sie nicht alles vorrätig, was wiederum die Kunden bemängeln. "Folglich bestellen sie alles im Internet, obwohl es 80 Prozent davon im Laden vor Ort geben würde." Besonders dreist seien die Kunden, die sich bei ihr beraten lassen, die Ware abfotografieren, um sie danach online zu bestellen, erzählt Nicole Kielmann.

Diese Erlebnisse werde sie nicht vermissen, wenn sie am 23. Juni endgültig die Ladentür schließt. Aber natürlich bleiben viele schöne Erinnerungen, zum Beispiel an Kunden, die Qualität oder auch ihre selbst gesponnene und individuell gefärbte Wolle zu schätzen wussten. Doch das seien leider zu wenige gewesen.

Die Entwicklung bedauert auch Bürgermeister Stefan Pöhlmann. "Wir alle kennen die Situation im Einzelhandel, es wird immer mehr im Internet bestellt." Er hoffe trotzdem sehr, dass sich ein Nachmieter für das Geschäft in der Innenstadt findet und zollt Nicole Kielmann Respekt für ihr großes Engagement, auch in der Werbegemeinschaft.

Die gebürtige Plauenerin, wegen deren Herkunft der Laden den klangvollen Namen trägt, will auch ohne "Ostherz" kreativ bleiben, stricken, basteln, malen, fotografieren. Jetzt, da die schwere Entscheidung für das Ende des Ladens gefallen sei, kehren auch ihre Ideen zurück, erzählt sie. Sie freut sich auf mehr Zeit mit ihrer Familie und auf den ersten Urlaub seit Jahren. Und auch wenn der Laden ihr großer Traum war, sei sie keineswegs Träumerin, sondern Realistin: "Wenn etwas nicht funktioniert, muss man es ändern - und fällt auch immer wieder auf die Füße."

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