Münchberg "Es braucht Respekt vor so einem Ereignis"

An diesem Mittwoch jährt sich der Busunfall auf der A 9 bei Stammbach zum zweiten Mal. Wie man Bilder verarbeitet und was das Gaffen verhindern könnte, weiß Seelsorger Michael Zippel.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Herr Zippel, wie haben Sie den 3. Juli vor zwei Jahren erlebt?

Das Unglück

Es ist einer der schwersten Busunfälle der deutschen Geschichte: Am Vormittag des 3. Juli 2017 prallt der Reisebus aus dem sächsischen Löbau auf einen Lkw-Anhänger und fängt Feuer. Im Bus sitzen 46 Fahrgäste, viele davon Rentner. Eine große Rettungsaktion läuft. Warum der Fahrer zu spät gebremst hat, wird vermutlich ein Rätsel bleiben. Im November 2017 hat die Hofer Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt.

Zur Person

Pfarrer Michael Zippel arbeitet seit 2015 in Hof. Der 57-Jährige ist bei der Diakonie Hochfranken als Theologe und Seelsorger tätig und arbeitet im Sana-Klinikum als Seelsorger. Er hat eine Ausbildung zum Trauma-Therapeuten absolviert. Für das Dekanat Hof ist er der Beauftragte für Notfallseelsorge.

Mit anderen bereitet er einen Blaulicht-Gottesdienst vor, der am 10. November in Selbitz stattfindet. Das Thema lautet "Rettungsgasse".

Pfarrer Zippel: Ich bekam einen Anruf aus dem Hofer Sana-Klinikum, weil dort Unfallopfer eintreffen sollten. Zusammen mit einem KlinikPsychologen habe ich dann bei den Patienten Nachsorgegespräche nach diesem belastenden Ereignis geführt.

Wie finden Sie passende Worte?

Wichtig ist, zu vermitteln, dass man ganz für den Menschen da ist. Wichtig ist auch, einen geschützten Raum zu bieten, damit der Betroffene erzählen kann. Außerdem gilt es, das soziale Umfeld und eigene Unterstützungssysteme zu aktivieren. Der Körper baut in der Regel belastende Eindrücke selbst ab.

Wie lange dauert das?

Maximal vier bis sechs Wochen. Wenn die Bilder des Unfalls, die Schreie und Gerüche oder andere Reize danach noch genauso belastend sind, sollte man unbedingt therapeutischen Rat einholen.

Wie lässt sich das Trauma dann bewältigen?

Indem man das Erlebte immer wieder erzählt, auch Freunden oder Angehörigen. So kann man loslassen. Die Betroffenen spulen das Ereignis wie einen Film ab. An einer Stelle hakt er meist, da bleibt ihnen etwas besonders hängen. Darüber sollten sie unbedingt sprechen, um nicht in Grübelei zu verfallen. Betroffene brauchen ein Ventil, um das Erlebte rauszulassen.

Das Inferno auf der A 9 liegt zwei Jahre zurück. Genug Zeit zum Verarbeiten?

Das kann man pauschal überhaupt nicht sagen. Der Prozess des Stressabbaus verläuft individuell. Wer so etwas erlebt hat, vergisst es nie mehr. Aber er findet Abstand, um damit umzugehen.

Was war Ihr schlimmster Einsatz?

Als ich meine Ausbildung zum Notfallseelsorger gerade abgeschlossen hatte, musste ich eine Mutter betreuen, deren zwei Söhne in einem brennenden Haus waren. Da merkt man schnell, dass Worte nicht reichen. Die Mutter wollte in die Flammen rennen, ich musste sie vom Einsatzort wegbringen. Die Kinder sind gestorben, einen Tag vor Heiligabend. Anfang Januar habe ich sie bestattet.

Wie verarbeiten Sie das?

Mit vielen Gesprächen, aber auch mit Sport und Lesen.

Bei dem Busunglück auf der A 9 waren 100 Polizisten und 150 Rettungskräfte im Einsatz. Sie haben furchtbare Dinge gesehen. . .

Nach solchen Erlebnissen sollte man neben Gesprächen auch auf seinen Körper hören. Wenn er Signale aussendet, was er jetzt braucht, sollte man diesen Bedürfnissen nachgeben. Das verhilft zur ausgeglichenen Balance.

Teil einer solchen Tragödie sind auch die Gaffer, die ihr Handy hinhalten. Worin liegt der Reiz?

Neugier ist menschlich, aber sie kann eben zur Gefahr werden. Das habe ich selbst erlebt bei einem tödlichen Unfall mit Jugendlichen. Die Polizei kam nicht an die Leichen heran wegen der Schaulustigen. Da frage ich mich: Was ist das für eine Gier, alles fotografieren und mitteilen zu müssen? Dagegen kommt man mit Bußgeldern allein nicht an.

Was ist Ihr Vorschlag?

Ich könnte mir vorstellen, dass all die Vorfälle mit Gaffern ein Umdenken bewirken. Wir brauchen Prävention. Wer den Führerschein macht, sollte nicht nur verbindlich Erste Hilfe lernen, sondern auch eine Ethik-Schulung als Zugang zum Führerschein besuchen müssen. Neben Theorie sollte es darin auch Rollenspiele geben - mit Perspektiv-Wechsel aus der Sicht eines Verunfallten. So lernt man vielleicht einen verantwortungsvolleren Umgang.

Ein verordneter Appell ans Gewissen?

Ethische Sensibilisierung könnte schon im Kindergarten beginnen, um frühzeitig Empathie zu entwickeln. Ein Unfall ist keine Show, die abläuft, damit man sich mit einem spektakulären Handy-Film wichtigmachen kann. Es braucht deutlichen Respekt vor so einem Ereignis.

Bringen sich die Gaffer nicht auch selbst in Gefahr, wenn sie bewusst hinschauen?

Natürlich. Sie sehen Bilder, die sie im Gegensatz zu den Rettungskräften nicht sehen müssten. Das kann sie traumatisieren. Wer sein Handy zückt, sollte das bedenken und sich vom Mitgefühl für die Opfer leiten lassen. Das Gespräch führte Claudia Sebert

Autor

Bilder