Hof 30 Jahre Grenzöffnung: Hofer Ehepaar öffnet Film-Schatztruhe

Sina Rees

Heidi und Axel Weber aus Hof sind vor 30 Jahren mit der Kamera losgezogen. Ihre schönsten Aufnahmen aus der Zeit der Grenzöffnung sind hier bei uns zu sehen.

 
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Hof - Oliver trägt einen hellen Rollkragenpullover und Schnauzbart und sitzt auf einem Sofa, neben ihm eine junge Frau - Konny - mit braunem Lockenkopf. Auf die Frage "Und wie fühlt ihr euch hier?" strahlen beide in die Kamera und antworten: "Spitzenmäßig, ganz toll, der erste Abend ist klasse." Das Sofa, auf dem die beiden sitzen, steht im Wohnzimmer von Heidi und Axel Weber aus Hof. Heidi Weber hat diesen Moment mit der Kamera festgehalten, weil es ein ganz besonderer ist: Oliver und Konny kommen aus der DDR - damals gab es sie noch. Es ist das Jahr 1989, ein paar Tage nach der Grenzöffnung. Mit einem Dauerlächeln auf dem Gesicht genießen die beiden jungen Leute ihre neugewonnene Freiheit. "Sie wollen einmal in die Disco", spricht Heidi Weber dazu in die Kamera, "und sich eine Hofer Nacht um die Ohren schlagen."

Die damals 46 Jahre alte Lehrerin hat vor 30 Jahren in der Zeit des Mauerfalls ihr Faible fürs Filmen entdeckt. Etliche Stunden Videomaterial sind zusammengekommen. Nicht nur die offenen Grenzen selbst, sondern auch die Hofer Innenstadt an einem Sonntag nach der Grenzöffnung, das Fest zur Wiedervereinigung in Mödlareuth und auch das Jahr nach dem Mauerfall. Alles zusammen mit ihrem Mann Axel. "Er hat mir die Videokamera damals geschenkt", sagt sie. Als die Nachricht von der Grenzöffnung sie erreicht, weiß sie: "Das ist ein historischer Moment, den muss ich filmen." Ihr Vater habe am Abend des 9. November 1989 angerufen und ihnen gesagt, dass in Berlin die Mauer gefallen ist. Die Grenzen sind offen. An diese Zeit erinnert sich das Ehepaar Weber - auch dank der selbst gedrehten Videos - noch sehr gut. "Der 10. November war ein ganz kalter Tag", erinnert sich Heidi Weber. Ihrem Mann Axel, damals 47 Jahre alt, ist noch etwas ganz Anderes in Erinnerung geblieben. "Über ganz Hof lag ein blauer Dunst von den Abgasen der vielen Trabis."

"Ich hatte damals eigentlich kein Interesse mehr am anderen Teil Deutschlands, man konnte ja nicht rüber", sagt Heidi Weber. Mit der Nachricht von der Grenzöffnung habe sich das schlagartig geändert. Bewaffnet mit der schwarzen, heute etwas klobig wirkenden Videokamera machen sich die Webers am 14. November 1989 selbst auf den Weg zum Grenzübergang an der Ullitz nahe Hof. "Wie wohnten hier ja so nah und praktisch eingerahmt von der Grenze, da mussten wir natürlich gleich hin", erinnert sich die Mittsiebzigerin. Ihr Mann Axel fährt das Auto, Heidi filmt und kommentiert ihre Eindrücke - das macht die Videos so emotional. "Wo noch vor einer Woche nichts los war, drängt sich jetzt Auto an Auto", hört man Heidi im Video sprechen, während im Film kilometerlange Trabi- und Wartburg-Schlangen zu sehen sind. Aber "in den Autos glückliche Gesichter, alle lachen, winken, wenn man stehen bleibt, die Leute sind glücklich, raus zu dürfen". An diesem Tag schaffen sie es allerdings nicht rüber in den Osten. Sie müssen noch einige Zeit warten, weil es zu der Zeit nur DDR-Bürgern gestattet ist, ohne Berechtigungsschein von Ost nach West zu fahren.

Das erste Mal über die Grenze in den Osten geht das Ehepaar am 9. Dezember 1989 in Mödlareuth. Die Menschen sind in Hochstimmung, feiern ein Fest der Freiheit. "Alle lagen sich in den Armen, haben getanzt und gesungen", sagt Heidi Weber. Im Video sieht man das kleine schneebedeckte Dörfchen, durch das sich eine Mauer zieht - aber jetzt hat die Mauer ein Loch. "Ein Tag, so wunderschön wie heute", singen die Menschen zur Musik. Eine Blaskapelle marschiert ein. Axel Weber grillt spontan Würstchen, zusammen mit einem Ost-Mödlareuther, "einfach als Zeichen der Solidarität und des Zusammenhaltes", erinnert er sich lachend. "Die konnten sich nämlich nicht vorstellen, dass die Westler freundlich zu ihnen sind", fügt seine Frau hinzu.

In einer anderen Videosequenz parkt am Straßenrand ein Trabi hinter dem anderen. Die DDR-Bürger kommen alle nach Oberfranken zum Einkaufen, holen sich das Begrüßungsgeld oder schnuppern einfach nur Westluft. "Die standen teilweise acht Stunden im Stau, bis sie hier waren", sagt Heidi.

Immer wieder zieht das Ehepaar mit der Kamera los. An einem Sonntag nach der Grenzöffnung zum Beispiel, als sich in der Hofer Innenstadt Zigtausende Menschen tummeln. "Man sah ihnen an, dass sie aus dem Osten kamen. Ihre Kleidung war grau und eintönig", erinnert sich Heidi Weber. Im Video sieht man das. Aber man sieht auch, wie glücklich und überwältigt die Menschen sind. Ein junger Mann steht vor einem Obststand mit Südfrüchten - Orangen, Bananen und Ananas - und betastet immer wieder mit ungläubigen Augen eine Ananas. Aus einem Marlboro-Lastwagen heraus werden Zigaretten verschenkt, davor hat sich eine Menschentraube gebildet. Die ganze Innenstadt ist voll. Um die "Freunde aus dem Osten zu begrüßen", wie es auf einem Schild heißt, sind die Geschäfte auch am Sonntag geöffnet.

Eine weitere Filmsequenz zeigt die lange Schlange vor einer Turnhalle, in der sich DDR-Bürger das Begrüßungsgeld in Höhe von 100 D-Mark abholen konnten. Axel Weber war damals als Architekt bei der Stadt Hof beschäftigt und half als Freiwilliger bei der Auszahlung des Geldes in der Turnhalle einer Schule.

Auch in der Zeit nach dem Mauerfall haben die Webers immer wieder Gäste aus Ostdeutschland bei sich zu Hause aufgenommen. Noch heute hat das Ehepaar Kisten voller Briefe von den Menschen, die sie damals beherbergt haben. "Wir waren auch emotional überwältigt von den Geschichten, die uns die Menschen aus dem Osten erzählt haben", sagt Axel Weber, "die Lebensgeschichten sind ja total anders als unsere."

Auch die von Oliver und Konny, den beiden, die endlich mal in eine Disco wollen. "Der Oliver hat damals ganz stolz erzählt, dass er vom Begrüßungsgeld seiner Oma ein Deo gekauft hat - das fand ich so putzig", freut sich die Hoferin. Und so schwelgen Heidi und Axel Weber heute noch gerne in Erinnerungen an diese ganz besonderen Momente der Wiedervereinigung, die sie selbst mit der Videokamera festgehalten haben.

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