Hof - Mehr als 80 000 Schüler in Deutschland verlassen die Schule jedes Jahr ohne Abschluss - und etwa ein Fünftel der 15-Jährigen kann nicht richtig lesen und schreiben. Auf diese Entwicklung hat Huberta von Voss am Dienstagabend bei einer Podiumsdiskussion in Hof hingewiesen. Die Autorin des Buches "Arme Kinder, reiches Land - ein Bericht aus Deutschland" lebt in Berlin, wo viele ihrer Sozialreportagen entstanden sind. Eingeladen zu der Veranstaltung hatte die "Fördergesellschaft Treffpunkt Familie Hof", die die Menschen in der Region stärker für das Thema sensibilisieren will, wie Moderator und Frankenpost-Geschäftsführer Thomas Regge betonte.

Laut offizieller Statistik leben in Deutschland 2,6 Millionen Kinder unterhalb der Armutsgrenze. "Diese Kinder brauchen unseren Schutz und unser Engagement", rief Huberta von Voss, "weil ihre Eltern dazu nicht in der Lage sind." Unterschiedlichste Gründe - Drogensucht, Krankheit, Alkoholprobleme oder Arbeitslosigkeit - führten dazu, dass auch deren Kinder "ausgegrenzt und isoliert werden". Häufig fielen diese Kinder erst als Jugendliche auf, wenn sie Verhaltensauffälligkeiten zeigten oder gewalttätig würden.

"Diese Kinder glauben nicht an sich, weil niemand an sie glaubt. Niemand sieht und fördert die Talente, die in ihnen stecken." Zugleich stünden sie "der großen Konkurrenz der Kinder aus der Mittelschicht gegenüber", für die alles getan werde. "Wenn wir da als Gesellschaft nicht reagieren, werden wir uns wundern, wie das Land in zehn, fünfzehn Jahren aussieht", plädierte die Autorin für mehr persönliches und ehrenamtliches Engagement. "Diese Probleme kann der Staat nicht alleine richten."

Mit Stigmatisierungen und Schuldzuweisungen an die Eltern sei es nicht getan. Vielmehr müssten auch die Eltern Hilfe bei der Lösung ihrer Probleme erfahren, wie es beispielsweise im Treffpunkt Familie der Diakonie Hochfranken in Hof bereits geschehe.

Dass Kinderarmut nicht auf Großstädte beschränkt ist, sondern auch in der Region zu finden ist, verdeutlichte Diakonie-Chefin Maria Mangei: "In Hof holen sich 700 Familien jede Woche eine Lebensmitteltüte bei der Hofer Tafel; davon sind auch Kinder betroffen." Viele erhielten in den Kindertagesstätten der Diakonie "mittags die erste Mahlzeit des Tages".

Erschrecken löste Hendrik Schödel, der Leiter der Hofer Sophienschule, mit einer Zahl aus: "65 Prozent unserer Ganztagesschüler sind Kinder von Hartz-IV-Empfängern, sie kriegen das Essen vom Staat bezuschusst." Hinzu komme die "seelische Armut", ergänzte Schödel. "Viele Schüler haben keine Umgangsformen erlernt", ihnen fehle der Respekt, sowohl vor den Lehrern als auch im Umgang mit Gleichaltrigen.

"Kinderarmut ist mitten unter uns", bestätigte auch Pascal Bächer aus Helmbrechts. Der 22-jährige Student und Stadtrat arbeitet mit im Jugendtreff. "Manche Kinder können nicht einmal die 1,50 Euro Unkostenbeitrag bei unseren Bastelnachmittagen bezahlen."

"Das entsetzt mich sehr", sagte Dr. Robert Schmidt, Chef von V. Fraas in Wüstenselbitz. Schmidt unterstütze bereits "eine Vielzahl von Diakonie-Projekten", erklärte Maria Mangei. Schmidt schlug vor, alleinerziehende Mütter zu entlasten. Er habe mit seiner Belegschaft darüber gesprochen, ob sie bereit wäre, ab und zu ein Kind zu Hause aufzunehmen. Seine Mitarbeiter hätten dem Vorschlag zugestimmt. Schließlich brauche jede Mutter mal einen freien Tag.

Thomas Regge verwies auf ein "Mentorenprogramm der Fördergesellschaft, das im Herbst an der Hofer Christian-Wolfrum-Schule startet. Zehn bis zwölf Schüler würden von Ehrenamtlichen beim Start in ihre berufliche Laufbahn be-
gleitet. "Ich könnte mir vorstellen, dass das Beispiel auch anderswo Schule macht", betonte Regge.

Durch den persönlichen Kontakt entwickle sich bei den Ehrenamtlichen ein Bezug zu dem jeweiligen Projekt, ergänzte Huberta von Voss. "Dabei merken die Helfer, dass sie sich mit ihrem Engagement auch selbst beschenken."

"Der eine erzählt es dem anderen, das ist wie ein Feuer, das sich fortsetzt", bekräftigte Maria Mangei, der es an Ideen für ehrenamtliche Einsätze nicht mangelt. Pascal Bächer, jüngster Podiumsteilnehmer, brachte das Resümee des Abends auf den Punkt: "Mach die Welt bereit für die Kinder dieser Welt", zitierte der Sänger der Band "Lebend K.o." einen seiner Liedtexte. Darum gehe es. Und nicht nur darum, Kinder für die Gesellschaft bereit zu machen.