Länderspiegel Der Zünder gleich vor dem Dieseltank

Batterie und Elektrik finden sich bei Bussen des niederländischen Hersteller VDL gleich vor dem Zusatztank. Laut dem Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer bauen aber auch andere Hersteller ihre Busse so. Es handle sich um eine "durchaus gängige Bauweise". Foto: Polizei Oberfranken

Der tote Fahrer des Unglücksbusses bremste wohl viel zu spät. Doch es liegt auch an der Konstruktion des Busses, dass der Unfall auf der A 9 in einer Katastrophe mündet.

 
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Hof - Die Katastrophe ist im Schlaf über sie gekommen: Die meisten Passagiere des voll besetzten Reisebusses aus Sachsen schlummerten kurz vor dem Unfall auf der A 9 bei Stammbach. Es sei sehr ruhig gewesen im Bus, berichten hinterher die Überlebenden der Polizei. Das ist verständlich, denn die meisten der 46 Menschen im Alter zwischen 41 und 81 Jahren waren schon lange unterwegs. Die ersten waren an diesem 3. Juli vor ein Uhr nachts zugestiegen, die letzten um 4.50 Uhr. Dann geht es endlich los zum Gardasee.

Besser im neuen Bus

Eine der Erkenntnisse nach dem Busunglück bei Stammbach lautet: Mit einem neuen Bus wäre der Unfall wahrscheinlich gar nicht erst passiert. Seit November 2015 müssen neu zugelassene Reisebusse und schwere Lkw mit Fahrerassistenzsystemen ausgerüstet sein, die den Verkehr vor sich beobachten. Sie leiten eine Notbremsung ein, wenn sich ein Hindernis oder ein Stau nähert. Der Unglücksbus des niederländischen Herstellers VDL aus dem Jahr 2013 war lediglich mit ABS und dem Stabilitätsprogramm ESP ausgerüstet. Mehr musste er auch nicht haben. Technische Mängel wurden nicht gefunden. Der Bus war so unterwegs, wie er auch das Zulassungsverfahren durchlaufen hatte.

In Dresden übernimmt auch der 55-jährige Fahrer von seinem 43-jährigen Kollegen das Steuer. Er hatte das Wochenende vor diesem Montag frei gehabt, alle Lenk- und Ruhezeiten waren eingehalten. Es wird wohl auf immer ein offenes Rätsel bleiben, was den Fahrer vor dem Unfall so abgelenkt hat. Auf der A 9 im Landkreis wird der Verkehr wie an jedem Montagmorgen dichter, kurz vor einer Baustelle begann er zu stocken. Dort verengt sich die Autobahn von drei auf zwei Spuren.

Der Bus fährt zu diesem Zeitpunkt schon eine Zeit lang hinter einem Lastzug her, der fünf Tonnen Schaumstoffkissen von der Ukraine nach Frankreich bringt. Auch dieser Fahrer ist ausgeruht. Nur 19 Kilometer vor der Unfallstelle hatte der Lkw-Fahrer eine Stunde lang gerastet. Als er den Stau bemerkt, bremst er ab. Die Auswertung des Fahrtenschreibers wird später zeigen, dass er seine Geschwindigkeit schrittweise von 80 auf nur noch 28 Stundenkilometer reduziert - "eine ganz normale Bremsung" sagt Polizeidirektor Horst Thiemt, der Chef der Verkehrspolizeiinspektion Hof. Nur der Fahrer des nachfolgenden Busses bekommt sie viel zu spät mit. Mit 60 bis 70 Stundenkilometern Anstoßgeschwindigkeit prallt er auf den Auflieger des Lkw. Im allerletzten Moment, finden die Gutachter später heraus, lenkt der 55-Jährige den Bus noch nach rechts in Richtung Standstreifen und tritt wohl auch noch auf die Bremse. Damit trifft er eine Entscheidung, die ihn das Leben kostet. Der Bus trifft den Lkw nun nicht mehr auf voller Breite. Die ganze Wucht des Aufpralls konzentriert sich auf einen 60 Zentimeter breiten Bereich links an der Front. Samt dem Fahrersitz wird dieser Abschnitt bis zu zwei Meter tief in den Bus gedrückt. Es ist gut möglich, dass der Fahrer jetzt schon tot ist. Als seine verkohlte Leiche später geborgen wird, ist das Schloss des Sicherheitsgurts noch geschlossen, sagt Jochen Götz, Pressesprecher der Hofer Staatsanwaltschaft.

Unter dem Fahrersitz befindet sich aber auch die Batterie samt dazugehöriger Elektrik, wenige Zentimeter dahinter einer der beiden Tanks des Busses. Er fasst 300 Liter Diesel; der zweite Tank mit einem Fassungsvermögen von 500 Litern befindet sich auf der rechten Frontseite. Beide Tanks sind miteinander verbunden, bei der Abfahrt waren sie randvoll. Durch den Aufprall wird die Batterie mit der funkensprühende Elektrik gegen den Tank gedrückt. Als er platzt, ist die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten. Die Lichtbögen der zerstörten elektrischen Anlage entzünden herausspritzenden Diesel. Auch die Druckluftanlage für die Bremsen und Türen des Busses schlägt leck. Die zischende Luft facht das Feuer zusätzlich an. Die Reifen des zu diesem Zeitpunkt noch rollenden Busses schleudern den Diesel nach hinten. In kurzer Zeit steht der gesamte Bus in Flammen.

Für die Rettung der 46 Passagiere bleiben nur Sekunden. Die meisten der 30 Überlebenden flüchten über die hintere Tür, die der überlebende Beifahrer mit der Hilfe einiger Passagiere aufdrückt. Eine Flucht über die vordere Tür ist kaum möglich, weil hier der Bus völlig deformiert wurde. Einige der Insassen springen aber auch durch Fenster, die sie eingeschlagen haben. Hilflos müssen sie zusehen, wie 17 Reisende und der Busfahrer verbrennen. Die Hitze ist so stark, dass sich Helfer dem Bus nicht einmal nähern können. Mediziner gehen allerdings davon aus, dass die hilflosen Menschen durch den dicken, schwarzen Rauch schon nach kurzer Zeit das Bewusstsein verloren haben. Plätze mit besserer Überlebenschance hat es nicht gegeben; die Sitzplätze der Toten waren über den ganzen Bus verteilt.

Zur Identifizierung der sterblichen Überreste war eine 30-köpfige Sondergruppe des BKA nach Erlangen zur Rechtsmedizin angereist. Den Experten gelang es schon nach wenigen Tagen, alle Opfer zu identifizieren. Fast alle Überlebenden haben inzwischen das Krankenhaus verlassen können, nur zwei Passagiere müssen noch behandelt werden.

Die Ermittlungsbehörden warten jetzt noch die Abschlussberichte der beauftragten Gutachter ab, dann werden die Akten geschlossen. Weil außer der Aufmerksamkeitslücke des Busfahrers kein Verschulden eines anderen Beteiligten erkennbar ist, wird es auch kein Strafverfahren geben.Wie Staatsanwalt Jochen Götz sagt, hat es einen Unfall mit ähnlichem Ablauf bislang noch nie gegeben. Die Ermittlungsergebnisse wird auch das Kraftfahrtbundesamt erhalten. Es muss entscheiden, ob Busse künftig anders gebaut werden müssen, damit sie für den Verkehr zugelassen werden.

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