Hof/Saalenstein - Es ist ein Satz des verblichenen Regisseurs Rainer Werner Fassbinder, den Helmut Schödel, Journalist aus Hof, in einer Filmtagekritik 1996 zitiert hat: "Hof bleibt doof, da helfen keine Filme." Seitenfüllend hat Schödel in angesehenen überregionalen Blättern seine Heimatstadt in ein nicht eben schmeichelhaftes Licht gerückt. 1991 etwa schrieb er eine ganzseitige Polemik für die österreichische Tageszeitung Die Presse. Darin schildert er am Beispiel Hofs den "Bruderzwist nach der deutschen Vereinigung" und zitiert - nicht ohne Genugtuung - einen Kollegen vom Spiegel, der Hof als "kleine graue Stadt" darstellt, in der sich "das Wunder der Wiedervereinigung allmählich in einen Alptraum verwandelt". In einer Reportage unter dem Titel "Franken ist eine Strafe Gottes" bescheinigt Schödel dem Landstrich im Jahr 1992 "provinzielle Beschränktheit" und bezeichnet "das Herz Frankens" als "einen kalten Eisklumpen, der sich in den Seelen der Menschen in Schwermut und Melancholie verwandelt".

Und jetzt das: Helmut Schödel, normalerweise in Wien zu Hause, hat sich seit Wochen mit Hund Tommy und seinem Freund Dominik Umek nach Oberfranken zurückgezogen. "Hof", sagt der ungeliebte Sohn der Stadt heute, habe sich gewandelt, "wie alles andere auch". Die Stadt habe etwas Beruhigendes, erklärt der 62-Jährige, und sie sei "ja ganz hübsch". Zu seinem Lieblingsort hat er die lange Bank im Vorraum der Kneipe "Konrad Zelt" in der Ludwigsstraße erkoren, für ihn eine Art Straßencafé. "Da sitz' ich drin und schreib' ", sagt er. Mittwochs und samstags singe gegenüber der Hof-Sänger. "Wenn ich ihn sehe, weiß ich, dass man nicht singen können muss, um Sänger zu sein." Der Hof-Sänger sei frei, "free like a bird".

Freiheit und innere Unabhängigkeit sind Schödel wichtig: "Ich bin mindestens 18 Mal umgezogen, weil ich nicht anfangen wollte, mich einzurichten", sagt der Mann mit dem - im Verhältnis zum Körper - übergroßen Kopf. "Wir sind hier auf Urlaub von der Ewigkeit. Es kann jeden Tag vorbei sein. Wie kann ich da beginnen, mich einzurichten?"

Dennoch tut er momentan genau das. Im früheren Haus seiner Eltern in Saalenstein bei Köditz (Landkreis Hof) will sich der gebürtige Hofer ein "Denkzentrum, einen Rückzugsort schaffen und hier sein, so oft es geht". Nach dem Tod seines 91-jährigen Vaters im Frühjahr sind seit sieben Wochen Handwerker in dem Einfamilienhaus nahe der Fattigsmühle zugange. Für den Journalisten eine Nervenprobe. Schödel selbst hat Bäume gefällt - "bevor ich selber falle, fäll' ich Bäume". Jetzt ist der Blick von dem eingewachsenen Grundstück teilweise wieder frei - auf grüne oberfränkische Wiesen und Wälder. Ein Idyll.

"Hier fühl' ich mich geborgen", sagt der Wahl-Wiener. "Diese Landschaft gibt nicht an. Die Leute hier sind keine Blöffer. Ich mag das Klima, und ich mag das Essen." Außer zum Lesen, Schreiben, Essen, zum Theater und zum Kino habe er "zu nix eine Beziehung". In Wien leide er oft unter Kloßentzug. Ein "Klößsäckla" gehört auch in Österreich zu seinem Hausstand. Die Kartoffeln für die fränkische Spezialität reibt der Meister des Wortes persönlich mit der Hand - für ihn "wie eine Zen-Übung".

Diesen Sommer hat sich der Autor eine Auszeit vom Schreiben verordnet - zum Nachdenken. Am 27. August erhält Helmut Schödel in Hamburg den renommierten Ben-Witter-Preis für seine Texte, die die Jury "als große Zeitungskunst" würdigt. Schödel freut sich über die Auszeichnung, aber er will die Freude nicht an sich heranlassen. "Es ist schön, dass ich den Preis kriege", sagt er. Aber damit liege die Latte hoch. "Ich muss sie wieder überspringen." Und das bringe ihn ins Grübeln.

In seinem Buch "Der Wind ist ein Wiener" (2011) sind 23 seiner außergewöhnlichen Reportagen und Porträts gesammelt, in einem spielt auch das Hofer Wirtshaus "Konrad Zelt" eine Rolle. Schödels Verbundenheit mit seiner Heimat schimmert in vielen dieser Geschichten durch. Aber sein Ton hat sich verändert: weicher, Sympathie wird spürbar, etwa wenn der Autor schreibt: "Für die Megacities von morgen arbeitet man bereits an speziellen Psychotherapien. Wenn mir der Therapeut als einziger Gesprächspartner bleibt, ziehe ich mich mit meinem Hund nach Franken zurück."

Mit den Jahren hat Schödel Frieden geschlossen mit seiner Heimat. "Der Altersfrohsinn hat begonnen", stellt er beim Gespräch mit der Frankenpost in Saalenstein fest. "Die Tragödie ist vorbei."

Die Tragödie hat sich in seinen Augen hauptsächlich zwischen 1950 und 1969 abgespielt, in den Jahren seiner Kindheit und Jugend. Aufgewachsen im Hofer Bahnhofsviertel besucht er die Sophienschule, "eine Prügelschule". Später, im Jean-Paul-Gymnasium, "haben Alt-Nazis als Lehrer verkleidet ihr Unwesen getrieben", und in der Stadt selbst hätten sich die Bürger - "wie überall in Deutschland" - gegen die Demokratie gewehrt. Die Totwinkel-Lage nahe des Eisernen Vorhangs habe für "klaustrophobische Zustände" gesorgt. "Man hat diese Stadt nicht seelisch gesund verlassen", erklärt Schödel. Hinzu kam seine schwierige Beziehung zum Vater. Der Hofer bezeichnet sie heute als "Beurteilungs-Verhältnis", im Gegensatz zu dem "Vertrauensverhältnis", das ihm seine Mutter entgegengebracht habe. Als der damals 26-jährige Sohn im Jahr 1976 zu Hause seinen ersten Autoren-Vertrag mit der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit präsentiert, watscht ihn sein Erzeuger erst mal verbal ab: "Wer so was wie dich anstellt, das ist keine Firma - diese Zeitung lese ich nicht."

Es ist allerdings ein Fehler, Schödels Texte nicht zu lesen. Seine Porträts von Zeitgenossen sind - für die Betroffenen oft ungnädige - Studien mit einem unverstellten Blick auf die Realität. Sie helfen dem Autor, das Leben zu verstehen - und seinen Lesern auch.

Wir sind hier auf Urlaub von der Ewigkeit. Es kann jeden Tag vorbei sein.

Helmut Schödel


Diese Landschaft gibt nicht an. Die Leute hier sind keine Bluffer. Ich mag das Klima, und ich mag das Essen.

Helmut Schödel heute über Oberfranken


Zur Person

Helmut Schödel ist 1950 in Hof geboren und hier aufgewachsen. 1969 schloss er das Jean-Paul-Gymnasium mit dem Abitur ab. Als "extrem wesentlich" bezeichnet er die drei Monate Praktikum beim Hofer Anzeiger, bevor er in Würzburg Germanistik und Anglistik studierte. Noch während des Studiums bewirbt sich Schödel "mit einem frechen Brief" bei der Zeit und erhält einen Autorenvertrag. Er bleibt der Wochenzeitung 20 Jahre treu. Heute lebt Schödel in Wien und schreibt für die Süddeutsche Zeitung und für die Wochenzeitung Der Freitag. Zwischendurch lehrte er zwei Jahre als Professor für Dramaturgie in Salzburg. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, zuletzt "Der Wind ist ein Wiener". Alle Texte schreibt Schödel per Hand in einem Wiener Kaffeehaus.


Ben-Witter-Preis

Der Journalist Ben Witter (1920 bis 1993) wurde durch seine Prominentenporträts bekannt. In der Jury der Ben-Witter-Stiftung sitzt unter anderem Dr. Theo Sommer, der ehemalige Herausgeber der Zeit. Über Schödel befindet die Jury: "Ob als Kritiker, als Reporter oder Porträtist, immer wieder geht er abseits des mediennotorischen Debattengedudels und Prominentengenudels auf einsame Entdeckungsfahrt, zieht es ihn zu den Rändern der Welt und der Kunst. Seine Helden sind die Selbstvergessenen und Selbstvergnügten, die wehmütigen Glücksritter und verwegenen Pechvögel."