Länderspiegel "Die fetten Jahre sind vorbei"

Christine Ascherl

Den "dicken Trommler" gibt's nicht mehr. Am Freitagabend in Veitshöchheim muss sich Reinhard Stummreiter einen Schaumstoffbauch umschnallen.

 
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Friedenfels - "Macht's dir was aus, wenn über dich gelacht wird?", hat ihn Norbert Neugirg 2005 gefragt. Der Kommandant der "Altneihauser" heuert Stummreiter damals für den ersten Auftritt bei der Franken-Fastnacht an. Eine "einmalige" Sache. "Ich kann gar nicht trommeln", wendet Stummreiter ein. Neugirg: "Wurscht. Hau einfach drauf." Es wird der Durchbruch für die Feierwehrkapelln. Die Witze auf Kosten des "Dicken" sind von nun an Programm. Der wird indessen immer dicker. "Essen, essen, ich konnte immer essen. Irgendwann verliert man die Kontrolle über sich selbst." Mit 37 wiegt er 300 Kilo. Neugirg setzt ihm ein Ultimatum. "Du stirbst mir auf der Bühne, und dann heißt's, die haben das noch ausgenutzt."

Diese Woche läuft Neugirg Gefahr, an Popularität von seinem Trommler überrundet zu werden. Stummreiter ist nicht nur heute beim Frankenfasching zu sehen. Er steht auch im Mittelpunkt der Dokumentation "Die fetten Jahre sind vorbei" aus der Serie "Lebenslinien" des Bayerischen Fernsehens. Regisseurin Elisabeth Mayer ist ein bewegendes Porträt gelungen. Sendetermin ist am Montag, 20. Februar, 21 Uhr, davor gibt der 43-jährige Friedenfelser ein Interview in der "Abendschau".

Das Drehbuch schrieb das Leben selbst. Ein Held muss ganz unten sein, damit er sich nach oben kämpfen kann. Bei Reinhard Stummreiter trifft das gleich ein paar Mal zu. Er ist neun Jahre alt, als seine Mutter an Krebs stirbt. Ein "Horror". "Die Erinnerung an die Zeit davor ist wie ausgelöscht." Fotos zeigen ihn als Blondschopf, der sich an die brünette Mama schmiegt. Reinhard futtert den Kummer weg. Er wächst bei Großeltern und Tanten auf, der Vater ist als Fahrstuhlmonteur oft unterwegs. Mit elf Jahren wiegt Reinhard 100 Kilo.

Der Vater heiratet 1987 erneut, ein "Glücksfall für uns alle". Auch diese Frau heißt Monika. Sie zieht die beiden Stiefkinder so herzlich auf wie die eigenen. Nur das übermäßige Essen, das gehört schon zum Leben von Reinhard dazu. Er wird Lkw-Fahrer und vertilgt auf dem Bock bis Montagabend schon den halben Wocheneinkauf. Für Frauen bleibt er "der lustige Kerl": "Ich war nicht so der Womanizer." Eine kurze Karriere als Wirt der "Spielkiste" in Windisch-eschenbach wird zur Pleite seines Lebens. Ein Gutes hat die Sache: In der Kneipe lernt er Neugirg kennen.

Es bleibt natürlich nicht beim einmaligen Auftritt. Die "Altneihauser" werden zur Zweitfamilie - und zum überlebenswichtigen Zweitjob. Innerhalb von sechs Jahren stottert Stummreiter einen Schuldenberg ab. Noch heute zollt ihm der Kommandant für diese Disziplin Respekt: "Helm ab!" Genauso zäh trainiert sich Stummreiter die Pfunde herunter. Diät, Magen-OP und viel Sport. Walken, Schwimmen in der Kiesgrube, Radfahren. Als er zum 30. Todestag seiner Mutter im September 2013 den Friedhof in Friedenfels besucht, trifft er eine Bekannte aus Kindertagen wieder. "Die Evi hatte ich ja hundert Jahre nicht mehr gesehen." Die alleinerziehende Mutter staunt über seine Verwandlung: "Gut sah er aus." Drei Stunden später stehen sie immer noch vor dem Friedhof und reden. Bis es dämmert.

Heute sind Reinhard und Eva verheiratet. 2015 war die standesamtliche Trauung mit Pauken und Trompeten (und den "Altneihausern"). In diesem Sommer soll die kirchliche Hochzeit folgen: "Das ist dann eine Sach' zwischen uns." Sie wollen sich das Ja-Wort an einem ganz besonderen Ort geben, an dem sie als Kinder zufällig schon einmal gemeinsam waren: auf der Alpe Klesenza im Großen Walsertal.

In Veitshöchheim sind die Altneihauser "Promis", die Autogramme geben. Wenn der "Stummi" noch erkannt wird. Im ersten Jahr nach der radikalen Gewichtsabnahme erkundigten sich besorgte Fans nach dem Verbleib des "dicken Trommlers". Der lacht darüber: "Es ist schön, wenn man den Bauch hinterher ablegen kann."

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