Länderspiegel Doppelmord erschütterte die Region

Rainer Maier

Vor 15 Jahren, am 4. August 2004, wurde Julia Hertlein aus Untersteinach erstochen. Der Täter gestand. Und er räumte überraschend eine weitere furchtbare Tat ein.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Untersteinach/Kulmbach - Erst sehen sie nur eine Hand, die aus dem Gras ragt und hören die verzweifelten Hilfeschreie. Die beiden jungen Frauen trauen sich kaum, aus ihrem Auto zu steigen und hinzugehen. Doch da hält noch ein Wagen mit mehreren Männern. Gemeinsam wagt man sich vor in die Wiese an der schmalen Verbindungsstraße zwischen Untersteinach und dem Ortsteil See. Blutüberströmt liegt dort Julia Hertlein, schwer verletzt durch mehrere Messerstiche in den Oberkörper, aber bei Bewusstsein.

Die Passanten rufen sofort Notarzt und Polizei. Als die Beamten eintreffen, kann ihnen das 14-jährige Mädchen noch sagen, wer ihr das angetan hat: Es war ihr Onkel Stephan Kuntze. Dann verliert sie das Bewusstsein. Kurz vor 23 Uhr stirbt Julia Hertlein im Klinikum Kulmbach. Fast gleichzeitig wird der Täter festgenommen, das blutige Tatmesser hat er noch bei sich.

Die Beamten, die ihn in jener Nacht vor 15 Jahren abführen, wissen noch nicht, dass sie es mit einem Doppelmörder zu tun haben. Sechs Wochen später wird Kuntze völlig überraschend gestehen, elfeinhalb Jahre zuvor auch Melanie Preuß aus Kulmbach erstochen zu haben. Der Mord an der damals 16-jährigen Schülerin auf dem Nachhauseweg von der Disco hatte der Polizei jahrelang Rätsel aufgegeben. Fast wäre sogar ein Unschuldiger dafür verurteilt worden, doch die Beweise gegen einen Mann aus der Nachbarschaft reichten in einem aufsehenerregenden Indizienprozess nicht aus.

Der Bayreuther Rechtsanwalt Karsten Schieseck hatte damals als Verteidiger für den Angeklagten den Freispruch erkämpft. Jetzt ist er Anwalt von Stephan Kuntze.

Ende Juli 2005 wird Stephan Kuntze vom Bayreuther Schwurgericht - nach Jugendstrafrecht, weil er bei der ersten Tat erst 17 war - unter Ausschluss der Öffentlichkeit wegen des Doppelmordes an seiner Nichte Julia Hertlein und an der Kulmbacherin Melanie Preuß zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht erkennt auf eine besondere Schwere der Schuld und ordnet Kuntzes Unterbringung in der Psychiatrie an.

Mit dem Urteil, das vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe bestätigt wird, sühnt das Gericht zwei der grauenvollsten Verbrechen, die es je in Oberfranken gegeben hat.

8. Januar 1993: Junge Kulmbacher feiern gerne im "Keller" in der Oberen Stadt. An diesem Freitagabend ist unter ihnen auch Melanie Preuß mit ihrer Schwester und Freunden. Kurz vor Mitternacht macht sich die 16-Jährige allein auf den Heimweg. Zeugen berichten der Polizei später, ein Mann sei dem Mädchen gefolgt. Jeans, dunkle Kleidung, ein irgendwie merkwürdiger Gang. Die Zeugen hören, dass Melanie ihn auffordert, sie in Ruhe zu lassen.

Kurz vor 24 Uhr versucht der Mann, Melanie Preuß auf dem kleinen Fußweg zwischen der Bayreuther Straße und der Gabelsbergerstraße, wenige Hundert Meter von ihrem Elternhaus entfernt, zu vergewaltigen. Das Mädchen wehrt sich. Er zückt sein Butterfly-Messer. 45 Mal sticht er auf die junge Kulmbacherin ein. Dann rennt er davon, lässt Preuß sterbend in der kalten Januarnacht zurück. Eine Frau beobachtet die Flucht, doch der Täter entkommt unerkannt. Stephan Kuntze, damals 17-jähriger Schüler, der gar nicht weit vom Ort des Mordes entfernt wohnt, lebt sein Leben weiter. Er gerät nie ins Raster der Ermittler.

Ein paar Wochen später präsentiert die Kripo einen Verdächtigen. Eine einzelne Faser, die an der Kleidung des 31-Jährigen aus der Nachbarschaft gefunden wird, soll von der Jacke stammen, die Melanie am Abend ihrer Ermordung trug. In einem Indizienprozess spricht das Landgericht Bayreuth den Angeklagten frei. Die Eltern von Melanie Preuß, fest überzeugt, dass dieser Nachbar der Täter ist, ertragen die Situation nicht mehr. Sie ziehen aus Kulmbach weg. 4. August 2004: Stephan Kuntze ist inzwischen 28 Jahre alt, gelernter Krankenpfleger, wohnt in Trebgast mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter. An diesem Sommertag bricht sich der abnorme Sexualtrieb des Mannes erneut Bahn. Unter dem Vorwand, er habe eine Geschenk-Idee für den Geburtstag der Mutter seiner Nichte Julia, vereinbart er mit der 14-Jährigen ein Treffen. Kuntze lockt das Mädchen in sein Auto, fährt mit ihr auf einen Feldweg in der Nähe und versucht, sich an der Nichte zu vergehen. Mit einem Butterfly-Messer drohend, will er sie gefügig machen. Doch das Mädchen kann sich - bereits leicht verletzt - losreißen. Kuntze setzt ihr nach und sticht sie nieder. Dann flieht er.

Bei der Durchsuchung seiner Wohnung werden Kripo-Beamte kinderpornografisches Material auf dem Computer des Täters finden. Im Prozess wird der renommierte Gutachter Professor Dr. Norbert Nedopil Kuntze eine schwere sexuelle Abartigkeit attestieren. Kuntze selbst hatte dem Sachverständigen gesagt, er sei von perversen, immer brutaler werdenden Vergewaltigungsfantasien angetrieben worden. Und er habe solche Fantasien weiterhin. Nedopil empfiehlt, den Angeklagten, den er dennoch für voll schuldfähig hält, nach dem Urteil auf unbefristete Zeit in der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Klinik unterzubringen. Das Gericht folgt seinem Rat.

Bilder