Berlin Eine Idee und viele Modelle

Norbert Wallet

Niedrige Hartz-IV-Sätze, ausufernde Bürokratie, prekäre Jobs - viele Menschen finden, dass der Sozialstaat die Probleme heute schlecht löst. Abhilfe soll das Grundeinkommen für jeden Bürger bringen.

 
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Berlin - Noch nie gab es so großen gesellschaftlichen Reichtum. Aber er ist ungleich verteilt. Moderne Industriegesellschaften schaffen es nicht mehr, allen Menschen Arbeit, erst recht auskömmliche Arbeit anzubieten. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Damit wird es immer schwerer für die Menschen am unteren Ende der Skala, sich einzubringen, teilzuhaben, in Würde leben zu können. Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens (BG) finden das nicht gerecht. Ihre Idee: Jeder Mensch erhält ein vom Staat ausgezahltes Grundeinkommen. Es soll die Existenz sichern und Teilhabe ermöglichen.

Ganz wichtig: Das Grundeinkommen ist an keine Bedingung geknüpft. Weder ist es eine Lohnersatzleistung, noch wird es abhängig von der Einkommenssituation gestaffelt - auch die Reichen hätten einen Anspruch. Im Gegenzug sind von niemandem Gegenleistungen gefordert - das ist der große Unterschied zu den in den meisten Industriestaaten üblichen Mindestsicherungssystemen. Die BG-Befürworter greifen ganz hoch, wenn sie die Vorteile ihres Konzeptes beschreiben: Die Menschen erhalten endlich mehr Autonomie über ihr Leben, können entscheiden, ob sie den Schwerpunkt ihrer Lebensgestaltung auf Erwerbsarbeit, ehrenamtliches Engagement, Selbstständigkeit oder bloßen Lebensgenuss setzen wollen. Von diesem Freiheitsgewinn profitiere die gesamte Gesellschaft, da gemeinwohlorientierte, aber bislang unattraktive, weil schlecht oder gar nicht bezahlte Tätigkeiten nun stärker nachgefragt werden. So hätten alle BG-Bezieher mehr Zeit, sich zu bilden, ihre Freiheit zu genießen. Unternehmer erhielten andererseits ebenfalls mehr Autonomie: Sie könnten mehr wagen, weil sie weniger Verantwortung für die Mitarbeiter hätten. Unattraktive Jobs würden schneller wegrationalisiert, wichtige Arbeiten müssten besser bezahlt werden. Die Kaufkraft würde stabilisiert und damit Konjunkturschwankungen besser aufgefangen.

Dem Haupteinwand mangelnder Finanzierbarkeit treten die BG-Fans mit dem Hinweis entgegen, dass im Gegenzug Milliarden Euro durch Einsparungen bei steuerfinanzierten Sozialleistungen und Steuervergünstigungen frei würden, die durch das BG ersetzt werden - also etwa die Mittel für die heutigen Grundsicherungen, Kindergeld und BaföG, aber auch der Grundfreibetrag der Einkommensteuer. Die Steuerfreiheit des Existenzminimums kann entfallen, denn das BG selbst garantiert ja ein Existenzminimum. Ziel ist, dass mittlere Einkommen keine zusätzlichen Lasten zu tragen hätten. Hingewiesen wird auch darauf, dass die Produktivität der Ökonomie steigen könnte, da überflüssige Jobs leichter wegrationalisiert werden könnten.

Im Einzelnen allerdings unterscheiden sich die BG-Modelle erheblich. Das gilt auch für die damit verbundenen Ziele und Motivationen. Drei typische Beispiele, die die gesamte Bandbreite zeigen:

Der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Straubhaar und der CDU-Politiker Dieter Althaus haben ein "Solidarisches Bürgergeld" vorgeschlagen. Es soll 600 Euro für Erwachsene und 300 für Kinder betragen. Dazu kommen 200 Euro Gesundheitsgutschrift. Im Gegenzug sollen sämtliche Sozialleistungen abgeschafft werden, auch die gesetzliche Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung, Wohn- und Kindergeld. Wichtig: Der Arbeitsmarkt soll drastisch dereguliert werden: Kündigungsschutz, Flächentarifverträge und Mindestlohn sollen verschwinden. So sollen die freien Kräfte des Marktes entfesselt werden. Das BG soll dazu dienen, entstehende Härten auszugleichen.

Innerhalb der Linkspartei wird das "Emanzipatorische Grundeinkommen" diskutiert. Es ist an das Volkseinkommen, die Summe aller Erwerbs- und Vermögenseinkommen eines Jahres, gekoppelt. Für 2013 wurde so eine Höhe von 1080 Euro für Erwachsene und 540 Euro für Kinder errechnet. Zur Finanzierung sind eine Grundeinkommensabgabe und erhebliche Steuererhöhungen bei hohen Einkommen und Vermögen vorgesehen. Hier werden die Sozialversicherungen nicht ersatzlos gestrichen. Zusätzlich wird ein höherer Mindestlohn gefordert. Ziel ist hier eine gerechtere Reichtumsverteilung und mehr Selbstbestimmung für jeden Menschen.

Sehr präsent ist das Modell von Götz Werner, dem Gründer der DM-Drogeriemärkte. Er gelangt über den Umweg einer steuerpolitischen Überlegung zum BG. Er findet es unverständlich, dass Einkommen besteuert werden und nicht Ausgaben. Er fände es sinnvoller, wenn nicht Leistungen wie Erwerbsarbeit und unternehmerische Tätigkeit besteuert würden, sondern der Verbrauch von Gütern, Ressourcen und Dienstleistungen - also der Konsum. Nimmt man aber an, dass Konsumsteuern die Einkommensteuer - wie eigentlich geplant - völlig ersetzen, dann entsteht ein Problem: Der Freibetrag in der Einkommensteuer schützt das Existenzminimum. Dieser Schutz fiele bei Konsumsteuern weg. Erst da kommt für Werner das BG ins Spiel. Das Grundeinkommen soll vor Armut schützen. Werner wird nicht besonders konkret. Mitunter spricht er von einem Niveau von 1000 Euro. Die Sozialversicherungen könnten dadurch wegfallen. Auch die Arbeitseinkommen könnten sinken.

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