Bayreuth/Stockholm "Erkrankt ein Schüler, bleibt er daheim"

Während man hier noch den richtigen Weg fürs neue Schuljahr in Corona-Zeiten sucht, ist der Unterricht in Schweden vergleichsweise entspannt. Eine ehemalige Bayreuther Studentin erzählt.

 
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Bayreuth/Stockholm - Keine Maskenpflicht und Schule für alle unter 15 Jahren - in Schweden geht man einen anderen Weg. Das Schulsystem ist dort wie eine Gesamtschule organisiert. Es gibt eine Grundschule und ein Gymnasium. "Die Kinder fangen mit sechs Jahren in der Vorschulklasse an. Danach folgen neun Jahre gemeinsam", erklärt Carin Bergling, die als Lehrerin in Stockholm tätig ist. Das alles nennt sich Grundschule. Danach folgt das Gymnasium. Das Gymnasium dauert drei Jahre - und darin ist alles organisiert: von der beruflichen Bildung für Friseur und Bauarbeiter bis hin zur Vorbereitung auf die Hochschule. Sie selbst unterrichtet Schülerinnen und Schüler im Alter von 13 bis 16 Jahren in den Fächern Englisch und Deutsch. Letzteres hat sie unter anderem an der Uni Bayreuth studiert.

Zur Person

Carin Bergling, 58, unterrichtet Deutsch und Englisch an der Fruängens Skola im Großraum Stockholm. Ihre Schüler sind 13 bis 16 Jahre alt. Die Schwedin hat unter anderem in Bayreuth studiert und seither gute Kontakte nach Franken. Der für diesen Sommer geplante Urlaub in Oberfranken fiel der Pandemie zum Opfer.

"In Schweden waren die Gymnasien im vorigen Semester geschlossen, irgendwann seit März. Die Grundschulen waren offen", berichtet die Lehrerin. Aus ihrer Sicht habe sich wegen Covid-19 für die Grundschule nicht viel verändert. In manchen Schulen blieben Kinder zu Hause. Es war den Eltern überlassen, sie nicht zum Unterricht zu schicken. "Das waren aber Schüler, die zum Beispiel Diabetes haben oder andere Risikofaktoren. "In meiner Schule, Fruängens Skola, sind nicht viele von den älteren Schülern zu Hause geblieben. Die Mehrheit ist zur Schule gekommen", erklärt Bergling.

Ihr Arbeitsalltag habe sich auch in der Pandemie nicht sehr verändert. "Wir haben Unterricht gehabt wie vorher." Für diejenigen, die aus Angst vor Covid-19 zu Hause geblieben sind, wurden die Schulaufgaben auf der digitalen Lernplattform eingestellt. "So konnten auch diese Schüler dem Unterricht einigermaßen folgen." Das habe für die Lehrer natürlich Mehrarbeit gegeben, sei aber nicht so schlimm gewesen. "Es ging recht gut, finde ich."

Nun fängt in Schweden das neue Schuljahr an. "Die Gymnasien öffnen wieder, und für die Grundschule ist nichts anders als vorher", erzählt die Lehrerin. Die Gymnasien werden teilweise die Schüler zu Hause bleiben lassen, weiß sie. Dann wird der Unterricht ins Internet verlegt.

Im Gymnasium hat man im Gegensatz zu den Grundschulen mit Online- und Hybrid-Unterricht gearbeitet. "Eine befreundete Lehrerin hat ihre Stunden im Gymnasium laut Stundenplan unterrichtet", berichtet Bergling. Dann habe man kontrolliert, ob sich auch alle eingeloggt haben und während des Unterrichts auch präsent waren. "In der Grundschule kommt so ein Unterricht nicht so häufig vor. Bei uns gar nicht, obwohl alle Schüler ein Notebook haben", berichtet sie.

Seit Monaten wird über den schwedischen Sonderweg gestritten: in der Wissenschaft, in der Politik, auch in den sozialen Medien. Kommen die Schweden wirklich besser durch die Krise? Das lässt sich so pauschal nicht beantworten, das kann auch Carin Bergling nicht. Doch den Schulbetrieb stört eine Erkrankung wenig: "Wenn ein Schüler oder eine Schülerin erkrankt, soll er oder sie zu Hause bleiben, auch einige Tage nachdem man fieberfrei ist", erklärt Carin Bergling. "Weitere Folgen für die Klasse oder für die Schule hat das nicht."

Auch manche ihrer Kollegen hatten den Verdacht, selbst am Virus erkrankt zu sein. "Einige haben sich nachher getestet und man hat festgestellt, dass sie Covid gehabt haben." Auch das hatte keine Auswirkungen auf die Beschulung der Kinder.

In Schweden gibt es keine Maskenpflicht, die Skandinavier setzen auf die Eigenverantwortung der Bürger mit Abstand halten und wenig Beschränkungen. "Wir versuchen aufzupassen, damit die Schüler nicht zu nah aneinanderstehen, zum Beispiel in der Mittagspause vor der Essenausgabe", sagt die Lehrerin. In Schweden bekommen die Schüler das Mittagessen in der Schule kostenlos. "Es wird auch kontrolliert, dass man sich die Hände wäscht, bevor man ins Schulrestaurant geht", betont Bergling.

Im Europa-Vergleich haben die Schweden - das zeigt die Statistik - einen hohen Preis bezahlt: Auf die Einwohnerzahl gerechnet starben bis heute etwa fünfmal so viele Infizierte wie in Deutschland oder Dänemark. Auch die Gesamtzahl der Infektionen liegt um ein Vielfaches höher.

Dennoch verteidigt der Architekt der schwedischen Corona-Strategie, der Staatsepidemiologe Anders Tegnell, das Vorgehen konsequent. Dass Ältere nicht besser geschützt werden konnten, betrübt ihn sehr. "Unser großes Versagen lag im Bereich der Langzeit- und Altenpflege. Die regionalen Ämter hätten besser vorbereitet sein müssen, dann hätte es weniger Tote gegeben", sagte er kürzlich der "Bild"-Zeitung. Die Schweden haben dazugelernt: Die Zahl der Neuinfektionen ging seit Ende Juni deutlich zurück. Wer im Homeoffice arbeiten kann, soll es weiterhin tun.

"Meinen Alltag hat Corona nicht sehr verändert", erklärt Carin Berging. "Da ich genauso wie früher arbeite, denke ich vielleicht nicht ständig an Covid-19." Um sich selbst mache sie sich wenig Sorgen, "ich mache mir Sorgen um meine Familie und meine Freunde", betont sie. "Erst hat man gesagt, dass Covid 19 nur gefährlich ist für ganz alte Leute. Das hat sich als falsch herausgestellt." Das stimme nachdenklich. "Natürlich werde ich verzweifelt, wenn ich höre, dass auch jüngere Leute daran sterben, aber man kann nicht ständig nervös sein. So kann man nicht leben."

Das soziale Leben außerhalb der Arbeit sei eingeschränkt. "Wenn mein Mann und ich Freunde treffen, machen wir das am liebsten draußen. Die meisten von unseren Freunden wollen warten bis Covid-19 vorüber ist, bevor sie sich bei jemandem zu Hause treffen." Restaurants und Cafés waren in Schweden immer offen, einen Lockdown gab es nicht. Doch öffentliche Versammlungen mit mehr als 50 Leuten sind auch in Schweden verboten, Besuche in Altersheimen ebenfalls, in Lokalen darf nur am Tisch bedient werden. "In Lokalen muss man Abstand halten, sie dürfen dort nicht so viele Gäste haben", erzählt Carin Bergling. Doch ganz zu Hause bleiben die Schweden nicht. "Wir gehen am Samstag in ein Konzert", sagt sie. "Mein Mann, mein Sohn und ich haben Glück gehabt: Wir haben drei von den 50 Karten bekommen."

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