Hof – Auf langen Spaziergängen rund um Hof hat er gelernt, andere Welten zu entdecken. Gemeinsam mit seinem Onkel Herbert fand der kleine Matthias Politycki beim „Schwamma“-Suchen immer wieder Staunenswertes am Wegesrand. Das Münchner Großstadtkind fragte dem Onkel aus der Zonenrand-Provinz immer neue Löcher in den Bauch. Und Herbert Franz hatte „einen unerschöpflichen Fundus an Kenntnissen“.

An die fünfzig Jahre ist das nun her. Aus Matthias Politycki ist ein bekannter Schriftsteller geworden, erst kürzlich auflagen-fördernd empfohlen von Elke Heidenreich in der ZDF-Sendung „Lesen!“. In der deutschen Literatur-Szene gilt Politycki als einer der wichtigsten Autoren der Gegenwart, die überregionalen Feuilletons feiern sein Werk, das Prosa, Essays und Lyrik umfasst.

Zuletzt sorgte der 53-jährige Wahl-Hamburger mit seinem Roman „In 180 Tagen um die Welt“ für Furore. Als ersten „Schiffsschreiber“ hatte ihn die Reederei Hapag Lloyd zur Weltumrundung eingeladen. Auf der MS „Europa“ sog Politycki ein halbes Jahr lang den Kreuzfahrer-Alltag in sich auf. Wahres Bordleben hat der Satiriker mit mächtig viel Seemansgarn zu einem modernen Schelmenroman verwoben, bei dem man Fakt und Fiktion kaum mehr auseinanderhalten kann.

„Ich will Ihnen das Geheimnis verraten“, sagt der Autor im Gespräch mit der Frankenpost: „Wenn all die kleinen Dinge stimmen, dann kann man ,knapp daneben’ am besten draufloslügen. Dann glaubt der Leser gern auch den ganzen Rest, der total erstunken und erlogen ist.“ Der Schriftsteller lächelt verschmitzt: „Dieses ständige Ineinanderübergehen von gut recherchierter ,Wahrheit’ und freischwebender Phantasie, das macht mir beim Schreiben am allermeisten Spaß.“

Erzählen lässt Politycki die Geschichte von Johann Gottlieb Fichtl, einem kleinen oberpfälzischen Finanzbeamten mit bedenklichem Hang zur Motivkrawatte. „Auf den Fahrten von meinem früheren Wohnort München zur Hofer Verwandtschaft bin ich da öfter vorbeigekommen, deswegen ist der Fichtl aus Oberviechtach. Eine völlig irrationale Entscheidung.“ Politycki brauchte einen Provinzler, den er auf Weltreise schicken konnte – und der dann, auf seine ganz und gar nicht hinterwäldlerische Weise, die Fünfsterneplus-Luxuswelt auf dem Kreuzfahrtschiff gehörig durcheinanderwirbelt.

Fichtls Lotto-Tippgemeinschaft landet nämlich einen „Sechser“, aber wegen magerer Gewinn-Quote kann nur einer die vorher ausgemachte Weltreise antreten. Die Wahl fällt auf den Hannes, doch der muss dafür über alles täglich genauestens Bericht erstatten. Fichtls fiktives Logbuch ist der Roman.

Matthias Polityckis sechsmonatige Reise in der 27-Quadratmeter-Suite mit Außenbalkon (Katalogpreis: 112 250 Euro) auf dem derzeit besten Luxus-Liner der Welt war kein Vergnügen, wie der Autor beteuert: „Viele denken, ich hätte da ein halbes Jahr lang die Beine hochgelegt, die linke Hand immer im Kaviar-Eimer, und mit der rechten ab und zu was notiert.“ Weit gefehlt: Der Schiffsschreiber kriegt kaum Schlaf, weil das Bordleben fast rund um die Uhr geht und auf irgendeinem Deck immer etwas los sein kann. Oder auf einem der 119 Landgänge in 46 Ländern.

Jeden Morgen stellt er Fichtls Tagesbericht als Vorab-Version des späteren Romans ins Internet, lässt seine schrulligen Kreuzfahrer in ihrem extravaganten Parallel-Universum skurrile Abenteuer bestehen. „Reine Phantasie“, beteuert Politycki mit einem Augenzwinkern: Als reinen literarischen Schreibtischtäter hat er sich nie verstanden, die Umgebung, in der seine Romane spielen, guckt er sich stets gründlich an, bevor er die erste Zeile zu Papier bringt.

Welch weiter Weg vom einstigen Experimentell-Literaten, der 1987 seinen Erstling „Aus Fälle – Zerlegung des Regenbogens“ auch in der Heimatstadt seiner mittlerweile 88-jährigen Mutter Anna Ruf bei einer Lesung vorstellte. Buchhändler Claus Henneberg schuf dem jungen Schriftsteller – und frischgebackenen Doktor der Philisophie – in Hof ein Forum. „Das war damals sehr ermutigend“, erinnert sich Politycki. Welten, sagt der Welt-Umrunder, lägen allerdings zwischen dem Werk von einst und dem neuen Buch.

Als nächstes plant Politycki wieder einen Lyrik-Band – „auch wenn meine Lektorin deswegen bereits prophylaktisch die Hände überm Kopf zusammengeschlagen hat“. Der Dichter mit den Hofer Wurzeln schwimmt nun mal gerne gegen den Strom.