Hof - Gertrud Helene Hedwig Schuster, verwitwete Fischer, geborene Wuttke, hat in ihrem Leben Glück gehabt: Sie verkraftete die Flucht aus Schlesien. Fand nach zwei Jahren Lagerleben in Nordböhmen in Hof ihren Ehemann Bernhard Fischer wieder, der hier später als Medizinischer Bademeister arbeitete. Sie hat Liebe erfahren, zwei Kinder großgezogen - und ist bis in ihr 103. Lebensjahr geistig rege geblieben. Trotz Arthrose im Knie, hochgradiger Osteoporose und wenig Geld im Portemonnaie war sie lebensfroh, hatte einen erfüllten Lebensabend und wurde am Ende sogar noch Schriftstellerin. Sie starb in den Armen ihrer Tochter, am 20. Dezember 2012 in Hessen. Bis zuletzt hat sie am Leben teilgenommen - wie es gerade ging. Über die 13 letzten Jahre, während der sie die alte Dame zu Hause gepflegt haben, berichten ihre Tochter, Ute Fischer, und deren Mann Bernhard Siegmund in einem mit viel Herz geschriebenen Buch.

Das Vorwort hat Claus Fussek geschrieben, bekannter Pflege-Kritiker und Mitbegründer des ambulanten Pflegedienstes "Vereinigung Integrationsförderung e. V.". Seiner Ansicht nach sollte das Buch zur Pflichtlektüre in Altenpflegeschulen, für Pflegefunktionäre, aber auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Sozialämtern, Kranken- und Pflegekassen werden. "Und für jene Politikerinnen und Politiker, für die Pflege eine quantifizierbare Sache ist, in der Würde keinen Platz hat."

Auf 164 Seiten beschreiben die Autoren den Alltag mit ihrer "Mutti". Der Leser gewinnt, unterstützt durch die 25 Farbfotos, das Bild einer lebenslustigen, gewitzten alten Dame, an der das Alter zwar nicht spurlos vorbeigeht, die aber - dank der Menschen in ihrer Umgebung, die sie lieben und ernst nehmen - bis zuletzt eine Persönlichkeit bleibt. Als ihre Kräfte nachlassen, sieht sie dem Tod erwartungsvoll entgegen.

Den Pflegealltag in einer Einrichtung hat Gertrud Schuster ebenfalls kennengelernt - während verschiedener Kurzzeitpflege-Aufenthalte, wo sie "die alten Leute regelrecht aufmischte", wie es heißt. Der Aufenthalt dauerte meist nur wenige Tage. Die Erfahrungen waren so, dass Ute Fischer ihren Beruf als Reisejournalistin so einschränkte, dass sie weitgehend von zu Hause aus arbeiten konnte. Auf unvermeidliche Reisen nahm sie "Mutti" mit, obwohl die damals die Neunzig bereits überschritten hatte.

Aber nicht die Kritik an den Pflegeeinrichtungen steht im Mittelpunkt des Buches. Vielmehr begleiten die Autoren zartfühlend und doch gewitzt und mit deutlichen Worten die körperliche, geistige und psychische Entwicklung der alten Frau in ihrem Alltag, notieren auch die eigenen Reaktionen, schildern die kleinen Hilfen und Hilfsmittelchen.

Wer schon einmal einen alten Menschen gepflegt hat, weiß, dass da ganz subtile Qualitäten gefordert sind. Da geht es beileibe nicht immer nur um Krankheit, sondern oft auch um den Platz, den Erlebnisse der Gegenwart und Vergangenheit einnehmen. Wenn "Mutti" gegen "den Hund" angeht, ist das ihrem wehen Knie geschuldet. Aber wenn sie mit einem Jugendfreund über alte Zeiten redet, blüht sie geradezu auf und reißt andere mit mit ihrer Anteilnahme und Lebendigkeit.

Viele ernste und heikle Themen bringen Ute Fischer und Bernhard Siegmund im Erzählton, fast plaudernd dem Leser näher: Das Verhältnis zum alternden Körper, der nicht mehr so funktioniert wie früher. Die Gewöhnung an Arztbesuche und Therapien, an den "Rentnerporsche" und den Rollstuhl. Die letzte große Liebe. Den Tod.

"Lasst mich liegen", sagt Mutti, wenn sie genug hat. Am Ende gleitet sie ganz selbstverständlich aus dem Leben, im Arm ihrer Tochter, die ihr am Abend vorher noch geholfen hat, die Weihnachtspost zu erledigen. Die Briefe von Gertrud Schuster erreichten noch ihre Empfänger. "Aufgrund der vielen Post aus Hof anlässlich ihres Todes merkten wir, dass sich noch viele Menschen an sie erinnerten", schreibt Ute Fischer. Sie erwähnt ausdrücklich die Arbeiterwohlfahrt Döhlau, den Schlesierverein Hof, den Schützenverein "Waldfreunde" in der Alsenberger Straße und Bekannte ihres Vaters Bernhard Fischer, der über Jahrzehnte Leiter der Bäderabteilung im Klinikum war.

Aufgrund der vielen Post aus Hof anlässlich ihres Todes merkten wir, dass sich noch viele Menschen an sie erinnerten.

Ute Fischer


Gertrud Schuster

Gertrud Helene Hedwig Schuster, verwitwete Fischer, geborene Wuttke wurde am 7. Mai 1910 in Wohlau, Niederschlesien, geboren. Sie erlernte den Berufder Schneiderin, wurde dann während des Krieges Ausbilderin im Umgang mit Kampfstoffen für die Zivilbevölkerung.

1941 heiratete sie den Gesundheitsaufseher Bernhard Fischer. Beide adoptierten 1944 ein Waisenkind. Der Mann wurde einberufen, sie flüchtete mit Kind, Mutter und Großmutter gen Westen.

Nach zwei Jahren Lagerleben in verschiedenen Orten Nordböhmens fand sie in Hof ihren Mann wieder. Auch der Vater war nur zehn Kilometer weiter gestrandet. So war die Familie wieder zusammen.

1947 wurde die Tochter geboren. Der Mann war lange arbeitslos, bis er als Medizinischer Bademeister im Hofer Krankenhaus eine Stelle bekam. Er starb kurz vor der Rente.

Sieben Jahre später heiratete die Witwe noch einmal. 24 Jahre später starb auch ihr zweiter Mann. Daraufhin holte ihre Tochter sie zu sich nach Südhessen.

Gertrud Schuster starb am 20. Dezember 2012 im 103. Lebensjahr.


Das Buch

"Altenpflege mit Kopf, Herz und Humor - Würde bis in den Tod" heißt das Buch von Ute Fischer und Bernhard Siegmund, Es hat 164 Seiten, 25 Farbfotos und kostet 14,90 Euro.