Oberfranken Vorzeige-Modell für Pflege am Lebensende

Beate Franz
Genügend Zeit und Zuwendung für die betagten Bewohner bleibt im Pflegealltag häufig auf der Strecke. Das Projekt "Zeitintensive Betreuung im Pflegeheim" (ZiB) will diesem Mangel abhelfen, vor allem Menschen in ihrer letzten Lebensphase sollen davon profitieren. In diesem Monat ist das ZiB-Projekt auch in Oberfranken angelaufen. Foto: Holger Hollemann/dpa

In Oberfranken nehmen drei Seniorenheime an einem Pilotprojekt teil. Es gibt Pflegekräften mehr Zeit, um auf die besondere Situation von Sterbenden einzugehen.

 
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Oberfranken - Viele Menschen haben Probleme, sich mit den Themen Tod und Sterben zu beschäftigen. Die machen Angst. Unterschwellig steht dabei immer der Gedanke an die eigene Sterblichkeit im Raum. Und den verdrängen die meisten Zeitgenossen. Wie sonst ist es zu erklären, dass unsere sonst so gut informierte Gesellschaft über die Bedürfnisse von Menschen am Lebensende so erschreckend wenig weiß?

Weitere Informationen

Mehr Informationen zum Projekt der zeitintensiven Betreuung im Pflegeheim (ZiB) im Internet unter www.annahospiz.de oder bei der Paula-Kubitscheck-
Vogel-Stiftung www.pkv-stiftung.de oder

beim Hospizverein Hof www.hospizverein-hof.de

Mehr als 30 Prozent der alten Menschen sterben mittlerweile im Seniorenheim, die Zahlen steigen. Der Tod geschieht hinter verschlossenen Türen. Selbst Pflegekräfte sind häufig hilflos und überfordert im Umgang mit dem Lebensende. Sie haben zu wenig Zeit, sich den Sterbenden so intensiv zu widmen wie die es bräuchten.

Drei Seniorenheime in Oberfranken wollen das jetzt ändern. Sie nehmen als einzige im ganzen Bezirk an einem Modellprojekt teil, das Pflegekräften mehr Zeit gibt, sich um die Bedürfnisse von Sterbenden besser zu kümmern. Alle drei Einrichtungen liegen im Raum Hof: das Seniorenhaus am Unteren Tor in Hof, eine Einrichtung der Hospitalstiftung, sowie zwei Pflegeheime der Diakonie Hochfranken: das Lutherstift in Oberkotzau und das Haus am Klosterhof. Start war Anfang Februar, ein Jahr lang läuft die Projektphase. Dann, so hoffen die Initiatoren, finden die teilnehmenden Heime vielleicht selbst einen Weg, um das Vorzeige-Projekt weiterzuführen.

An Land gezogen hat das ZiB-Projekt (ZiB = zeitintensive Betreuung im Pflegeheim) der Hofer Hospizverein, der die Idee aus Mühldorf am Inn (siehe Artikel rechts) in der Region mittlerweile umgesetzt hat. Der Gedanke dahinter: Palliativ geschulte Pflegekräfte, die bereits in Teilzeit in dem jeweiligen Heim arbeiten, stocken ihre Arbeitszeit um 30 Stunden monatlich auf. Diese zusätzliche Zeit kommt ausschließlich den Pflegebedürftigen am Lebensende zugute.

Sämtliche Arbeiten in dieser zusätzlichen Zeit werden dokumentiert, um "auch der Politik den zusätzlichen Pflegebedarf nachzuweisen, der am Lebensende entsteht", erklärt Hospizvereinsvorsitzende Dr. Sabine Westphal, Allgemeinärztin in Hof. Sie hofft darauf, dass sich dieser Bedarf auch irgendwann in den Stellenschlüsseln für Pflegeheime niederschlagen wird.

Der Hospizverein unterstützt ZiB auch finanziell, übernimmt anteilig zu einem Drittel die höheren Kosten, die durch den Mehraufwand an Personalstunden anfallen. Ein Drittel trägt das jeweilige Heim und ein weiteres Drittel der Kosten übernimmt im Projektjahr 2018/2019 die Paula-Kubitscheck-Vogel-Stiftung, die sich die bestmögliche Versorgung von Schwerkranken auf die Fahnen geschrieben hat. Das ZiB-Modell soll nach und nach in ganz Bayern Fuß fassen und andere Hospizvereine und Seniorenheime zur Teilnahme motivieren.

Sabine Westphal, die die beteiligten Pflegekräfte auch beratend unterstützt, hat sich aus unterschiedlichen Gründen für das Projekt starkgemacht. "Die ZiB-Pflegekräfte sind motiviert, weil sie die Freiheit haben, auf die Bedürfnisse der Bewohner eingehen zu können." Generell bestehe durch die angespannte Personalsituation in der Pflege die Gefahr, "dass die Beschäftigten mit ihrer guten Ausbildung von Frustrationen im Arbeitsalltag aufgezehrt werden".

Noch ein anderer Punkt bewegt die Ärztin: "Dass Tumorpatienten am Lebensende eine intensivere Versorgung brauchen, ist den meisten Menschen klar", betont sie. "Aber Demente, chronisch Herz- oder Nierenkranke oder einfach altersschwache Menschen brauchen genauso viel Aufmerksamkeit." Die werde ihnen in der Regel aber nicht gewährt, "weil das gesellschaftliche Bewusstsein dafür nicht vorhanden ist".

Larissa Hörner, Pflegedienstleiterin im Seniorenhaus am Unteren Tor in Hof, weiß um die Nöte der Menschen am Lebensende, auch um die Nöte des Pflegepersonals. Sie und Heimleiterin Sabine Dippold waren gleich begeistert von der ZiB-Idee der zeitintensiven Betreuung, die der Hospizverein an ihr Haus herangetragen habe: "Wir haben gleich gesagt, wir machen mit." Es gehe darum, "die Menschen am Lebensende würdig zu begleiten und auch mal genügend Zeit zu finden für ein Aufklärungsgespräch mit den Angehörigen", sagt die Heimleiterin.

"Sterben beginnt nicht erst zwei Tage vor dem Tod", weiß Pflege-Expertin Larissa Hörner. Wie Studien ergeben hätten, dauere der Sterbeprozess in der Regel 20 bis 21 Tage. Für die ZiB-Kräfte komme es darauf an, Anzeichen mit "Fingerspitzengefühl" zu erkennen und auch die Angehörigen entsprechend zu informieren. Oft würden die Senioren in den letzten Tagen nichts mehr essen wollen. "Sie hören auch auf zu trinken." Angehörige gerieten in Panik, weil sie glaubten, der alte Mensch müsse verhungern. Auch manche Pflegekräfte hätten nicht gelernt, mit solchen Situationen gut umzugehen. Die ZiB-Kräfte seien eigens dafür ausgebildet. Ihre zusätzliche Arbeitszeit könnten sie beispielsweise auch für Sitzwachen nutzen, sagt die Pflegedienstleiterin, "damit der alte Mensch nicht alleine ist, wenn er stirbt". Jeder gehe seinen eigenen letzten Weg. Manche wollten sich noch etwas Belastendes von der Seele reden, etliche wollten beten, andere verlangten danach, in Ruhe gelassen zu werden, wollten aber dennoch nicht alleine sein. "Sterbebegleitung ist Herzenssache", bringt Ergotherapeutin Carmen Geist das Thema auf den Punkt. Für die Begleiter komme es darauf an, einfühlsam zu sein und gleichzeitig Distanz zu wahren.

Was in Oberfranken erst in diesem Monat begonnen hat, ist in Mühldorf am Inn schon etabliert. Yvonne Zur war dort eine der ersten ZiB-Kräfte. Über ihre Erfahrungen sagt sie: "Für mich war es ungeheuer befriedigend, ungestört und ohne Zeitdruck den Bedürfnissen der mir anvertrauten alten Menschen nachzukommen. Endlich hatte ich das Gefühl, das zu tun, wofür ich ausgebildet wurde."

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