Länderspiegel Wild auf Wild

Sarah Schmidt, Irena Güttel

Die meisten Menschen verbinden Wildfleisch mit schweren Wintergerichten. Doch es kann mehr - und punktet auch in Sachen Nachhaltigkeit und Regionalität.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Nürnberg - Valentin Rottner brät den Rehrücken kurz in der Pfanne an. Dann arrangiert der Sternekoch das butterzarte Fleisch mit Steinpilzen, Topinambur, Selleriepüree und Passionsfrucht auf dem Teller. Vor Kurzem ist das Reh noch im Nürnberger Reichswald herumgesprungen. Rottner hat es entweder selbst geschossen oder ein mit ihm befreundeter Jäger. In seinem Restaurant Waidwerk ist der Name Programm: Unter einem mächtigen Hirschgeweih tischt er seinen Gästen hauptsächlich Wild auf, egal ob Sommer, Herbst oder Winter.

Für Rottner ist das nur konsequent. Als er vier Jahre alt war, nahm ihn sein Opa zum ersten Mal mit auf die Jagd. Mit 15 machte er selbst den Jagdschein. "Wenn ich Fleisch essen will, gehe ich jagen", sagt der 31-Jährige. Zu wissen, woher sein Fleisch stammt und wie das Tier bis zu seinem Tod gelebt hat, das ist Rottner wichtig - und auch vielen seiner Gäste, wie er beobachtet hat. "Wir haben Gäste, die essen nur bei uns Fleisch."

Vieles spricht dafür, mehr heimisches Wild zu essen. Es ist regional, nachhaltig, bis zum Tod hatte das Tier ein artgerechtes Leben, und der Transport zum Schlachthof bleibt ihm erspart. "Wer wild isst, schützt auch den Wald", sagt Wolfgang Kornder vom Ökologischen Jagdverband in Bayern. Der Jäger setzt sich unter anderem mit Naturschützern in der Initiative "Hunting4future" dafür ein, dass in Deutschland mehr Wildtiere geschossen werden, weil diese die jungen Bäumchen in dem eh schon vom Klimawandel gestressten Wäldern kaputtknabbern.

Trotzdem scheiden sich an Wild immer noch die Geister. Abgesehen davon, dass Tierschutzbund und die Tierrechtsorganisation Peta die Jagd als grausam ablehnen, gibt es auch weniger tierliebe Menschen, die Wild niemals anrühren würden. Mit Grauen erinnern sie sich an den streng schmeckenden Hirschbraten, der im Winter auf den Tisch kam.

Hautgout nannte man diesen eigentümlichen Geschmack, der als charakteristisch für Wild galt. "Das ist aus Zeiten, wo man noch keine Kühlung hatte", sagt der Nürnberger Forstbetriebsleiter Johannes Wurm. Damals hängten die Jäger das erlegte Wild einfach für einige Zeit an die Kellerdecke, damit das Fleisch reifte und zart wurde. Dabei vergammelte es aber leider auch. Um den Geschmack zu übertünchen, legte man es früher in Rotwein, Essigwasser oder Buttermilch ein.

Dass das heute nicht mehr nötig ist, hat sich aber noch nicht überall herumgesprochen. Wie auch? Nach Angaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung aßen die Deutschen im vergangenen Jahr etwa 60 Kilogramm Fleisch pro Kopf. Wild macht dabei so einen geringen Anteil aus, dass es nicht separat erfasst wird. Zusammen mit Schaf, Ziege, Pferd und Innereien kommt es gerade mal auf 1,6 Kilo pro Kopf. Und wenn man Wild isst, dann vor allem im Restaurant. Nur wenige kochen Reh, Wildschwein oder Hase zu Hause. Was auch daran liegt, dass es das nicht abgepackt im Supermarkt zu kaufen gibt. Man muss sich schon gezielt auf die Suche machen.

Im Fichtelgebirge werden die Wild-Liebhaber aber fündig. Seit 2012 verkauft der Forstbetrieb Fichtelberg ganzjährig Wildfleisch von Reh-, Rot- und Schwarzwild. "Als wir vor acht Jahren mit dem Verkauf starteten, wurden wir noch belächelt. Mittlerweile schaut das aber ganz anders aus. Die Nachfrage boomt und das Interesse am Wildfleisch hat sich blendend entwickelt", sagt der Forstbetriebsleiter Winfried Pfahler. Die meisten Kunden seien Privatkunden, vereinzelt auch Gastronome. "Wir verkaufen auch küchenfertige Portionen, die vakuumiert und tiefgefroren sind. Das kommt sehr gut an." Momentan seien vor allem die neuen Wildburger bei Jung und Alt beliebt. "Das ist gerade der absolute Renner. Wir spüren den Trend, dass die Leute weg wollen von den Massenprodukten. Vielmehr wollen sie wissen, woher ihr Fleisch kommt", sagt Pfahler. Die Kunden hätten auch immer weniger Angst davor, Wild zuzubereiten. "Man kann das Wildfleisch genauso braten, wie jedes andere Fleisch. Die exzellente Qualität wird immer mehr wertgeschätzt."

Durch die Aspekte Regionalität und Nachhaltigkeit ist Fabian Grimm vom Vegetarier zum Jäger geworden. Für Außenstehende eine krasse Entscheidung, für Grimm aber logisch. Auf Fleisch verzichtete er aus ethischen Gründen, nicht, weil er es nicht mochte. "Tieren sollte es gut gehen, und sie sollten nicht in einem dunklen Stall leben", sagt der 32-Jährige aus Bayreuth. Trotzdem, sagt er, sei es ein großer Schritt für ihn gewesen, zum ersten Mal ein Tier zu schießen. "Ich esse, also jage ich" heißt das Buch, das er über seine Erfahrungen geschrieben hat.

Heute isst Grimm nur Wild, das er selbst gejagt, ausgenommen, zerlegt und verarbeitet hat. Das hat er sich selbst beigebracht. In seinem Blog "haut-gout.de" stellt er Rezepte wie Flammkuchen mit Rehfilet oder Damwildsteaks in Kirschmarinade vor und zeigt, wie man Hackfleisch aus Rehschulter oder Rehnieren zubereitet. "Viele verbinden mit Wild nur Wildbraten. Dass man Reh zum Beispiel auch auf den Grill legen kann, wissen sie nicht", sagt Grimm.

Lernen kann man das auch in Kochkursen, allerdings oft nur im Herbst und Winter. Die Kochschule "Wild Cooking" im baden-württembergischen Blaustein ist auf Wild spezialisiert. Die 40 bis 50 Kurse im Jahr sind fast immer ausgebucht.

Bilder