Kronach Wütend auf Management und Investor

Christoph Scheppe

Bei Loewe stehen die Bänder still. Am Montag haben 400 Mitarbeiter ihre insolvenzbedingte Freistellung erhalten - und wenig Hoffnung auf eine Rettung.

 
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Kronach - Montag, 10 Uhr in der Kronacher Industriestraße 11: Hinter der Schranke der Loewe-Einfahrt ist ein Schild aufgestellt, auf dem ein blauer Pfeil nach rechts zeigt. Gemeint ist das Gebäude 63. Dort sitzen sechs Mitarbeiter von Insolvenzverwalter Rüdiger Weiß. Ihre Aufgabe ist es, den 400 Beschäftigten des zahlungsunfähigen Kronacher TV-Geräteherstellers ein zweiseitiges Dokument gegen Unterschrift auszuhändigen. Das ist mit "Insolvenzbedingte Freistellung" überschrieben.

Nach jahrelanger Krise hat Loewe am Montag die Produktion eingestellt. Die Bänder in den Werkhallen stehen still. Schon 2013 bewegte sich das Unternehmen nah am Abgrund, doch fand sich - quasi in letzter Sekunde - mit Stargate-Capital noch ein Investor. Jetzt, sechs Jahre später, haben viele Mitarbeiter ihre Hoffnung auf ein zweites Wunder aufgegeben. "Die Gebäude sind veräußert, der Name verpfändet. Wir existieren praktisch schon gar nicht mehr", sagt Ingrid Heinisch. 40 Jahre und elf Monate sei sie bei Loewe, seit 1992 im Betriebsrat. "Ich hatte das große Glück, mit guten Vorständen zusammenzuarbeiten", nennt die Kronacherin explizit Dr. Rainer Hecker. Dessen Tätigkeit begann 1999 zunächst als Vorstandsvorsitzender, bevor er 2008 den Aufsichtsratsvorsitz der Loewe AG übernahm. "Alles, was nach ihm gekommen ist, war mehr als problematisch", nimmt Heinisch kein Blatt vor den Mund. Die wiederholte Schieflage bei Loewe sei letztlich die Konsequenz "eklatanter Managementfehler und eines Ausblutens durch den Investor". Jetzt, sagt sie, gehe es wahrscheinlich nur noch um die Namensverwertung.

11 Uhr: Der Mitarbeiter-Parkplatz vis-à-vis der Werkhallen füllt sich zusehends. Männer und Frauen steigen aus ihren Fahrzeugen. Manche steuern in Gedanken schnurstracks das Gebäude 63 an, andere rauchen noch eine Zigarette oder sind in Gespräche vertieft. Was ihnen noch bevorsteht, hat Elke Frommknecht soeben erledigt. Die 57-Jährige aus Nordhalben zeigt die zwei DIN-A4-Seiten, auf der Insolvenzverwalter Rüdiger Weiß die Gründe für die Freistellung erläutert.

Vor knapp vier Jahren hat die gelernte Schneiderin bei Loewe einen Job bekommen und war froh, "endlich mal richtig Geld zu verdienen". Wie es jetzt weitergeht? Schulterzucken. "Natürlich hat man immer die Hoffnung, dass sich letztlich doch noch alles wieder zum Guten wendet. Aber ob das noch mal was wird, weiß ich nicht."

Klar sei hingegen, dass die Mitarbeiter keine Schuld an der prekären Situation bei Loewe treffe: "Die Belegschaft hat stets gute Arbeit geleistet und stand immer hinter dem Unternehmen." Frommknecht sieht den Kronacher TV-Gerätehersteller Loewe auch als Opfer der "Geiz-ist-geil-Mentalität". Ein Fernseher von Loewe, sagt sie, sei auch nicht teurer als ein guter Samsung.

Letztlich bestimmt aber der Kunde, welches Gerät ins Wohnzimmer kommt. Und in den vergangenen Jahren waren es immer weniger aus der Loewe-Kollektion, weiß der Insolvenzverwalter: "Loewe hatte schon seit Jahren einen defizitären Geschäftsbetrieb." Bei 120 Millionen Euro lag der Jahresumsatz zuletzt. Dabei seien schon 150 Millionen Euro zur Personalkostendeckung erforderlich, hat Weiß ausgerechnet.

"Seit Hecker weg ist, hatten wir nur Leute, die auf Profit aus waren", macht Horst Detsch aus seinem Herzen keine Mördergrube. Er verweist auf seine 36-jährige Betriebszugehörigkeit. "Ich habe alle Höhen und Tiefen erlebt. Aber was jetzt passiert ist, spottet jeder Beschreibung", fokussiert sich der Zorn des Stockheimers auf die britische Investmentgesellschaft Riverrock. Die habe zwar ein Darlehen gegeben, lasse Loewe jetzt aber ausbluten. "Diese verdammten Finanzhaie", schimpft Detsch.

Elf Ergänzungsverträge in zehn Jahren, 20 Prozent weniger Lohn sowie die Streichung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld sind für den Stockheimer Beleg dafür, dass "die Mitarbeiter stets alles getan haben, um das Unternehmen zu retten". Doppelschichten, Überstunden, Wochenendarbeit: Die Fehler seien nicht in der Produktion, sondern woanders gemacht worden, deutet Horst Detsch auf die Chefetage.

11.30 Uhr: Inzwischen bildet sich vor dem Gebäude 63 eine Schlange. Auf dem Parkplatz fließt derweil die eine oder andere Träne. Betriebsrätin Ingrid Heinisch versucht, Trost zu spenden. Doch bei vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen bleibt es beim Versuch. Viel Zeit hat Heinisch ohnehin nicht mehr, denn für sie steht eine Sitzung des Betriebsrats an. Dabei geht es ihren Angaben zufolge um die Themen Interessenausgleich und Sozialplan. "Darum werden wir für die Belegschaft kämpfen."

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