Selb Tradition überlebt finstere Jahre

Dieses Bild stammt von 1951. Am Mikrofon steht "Resident Officer" Austin R. Martin, rechts neben ihm der Selber Oberbürgermeister Dr. Franz Bogner. In diesem Jahr berichtete die Fox-Wochenschau Frankfurt, die damals festes Kino-Vorprogramm war, vom Selber Wiesenfest. Austin R. Martin hielt eine kleine Ansprache und sagte in deutscher Sprache, dass das Wiesenfest ein Stück echter Demokratie sei, von der selbst die Amerikaner noch lernen könnten. "Wollen wir uns deshalb zusammennehmen, dass nicht jeder von uns den Splitter im Auge des nächsten sieht und den Balken im eigenen übersieht." Quelle: Unbekannt

Heimatforscher Dieter Arzberger ist zufrieden. Er hat auf Bitten der Frankenpost in seinem Archiv gesucht und ist fündig geworden: "Ich habe Bilder davon; eines zeigt Leute, die zum Goldberg strömen.

 
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Dieter Arzberger spricht vom Selber Wiesenfest 1949, ein besonderes im ohnehin "wiesenfestverrückten" Selb: Es war das erste Wiesenfest, das nach dem Zweiten Weltkrieg gefeiert wurde. Und es begründete damit vor nunmehr genau 65 Jahren die Tradition des Festes neu und legte den Grundstein für die Durchführung in der heutigen Form - vor allem aber findet es seither jedes Jahr statt, egal was komme. Das war beileibe nicht immer so, wie ein Blick in Dieter Arzbergers Buch "Das schönste Fest der Selber" zeigt.

In den Jahren 1816 und 1817 zum Beispiel fiel das Fest mit der über 200-jährigen Geschichte aus, weil Fröste eine Hungersnot zur Folge hatten. 1852 bis 1855 gab es niemanden, der Geld und Lust genug gehabt hätte, die Feier zu organisieren. 1863 und 1864 fand sie nicht statt, weil der Pfarrer harten Widerstand leistet. Inflation, Hochwasser und Wirtschaftskrisen sind in den kommenden Jahren ebenfalls Gründe, auf frohe Stunden zu verzichten.

Auch Blutvergießen verleidet den Selbern die Feierlaune immer wieder. So entfällt das Wiesenfest am 24. Juli 1870, weil fünf Tage zuvor der französische Kaiser Napoléon III. den Krieg an Preußen und seine Verbündeten erklärt hat - der Beginn des Deutsch-Französischen Krieges. Als 1914, vor genau hundert Jahren, der Erste Weltkrieg Europa ins Verderben stürzt, ist auch das Ende des frohen Treibens in Selb gekommen. Nach dem Krieg, 1919 und 1920, ist das Wiesenfest zwar geplant, doch muss es jeweils kurzfristig abgesagt werden. Zu dieser Zeit herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände in Selb; heute kaum mehr vorstellbar.

Bis 1939 - vor 75 Jahren - findet das Fest dann relativ regelmäßig statt; mal am Goldberg, mal an der Weißenbacher Straße, mal am Schützengarten, mal eintägig, mal zweitägig, mal mit Festzug, mal ohne, mal von der Stadt organisiert, mal von Privatleuten. Dann fordert der Zweite Weltkrieg Tribut.

Bis 1949 dauert es, ehe die Selber ihr Wiesenfest wieder feiern können. "Sie müssen sehen, dass direkt nach dem Krieg bei all dem Elend der vielen Flüchtlinge und den wirtschaftlichen Problemen niemand so recht feiern wollte", erinnert Dieter Arzberger. "Und bis zur Währungsreform im Juni 1948 hatten die Leute nicht einmal Geld, mit dem sie hätten bezahlen können. Sie hätten ja Tauschhandel an den Bratwurstbuden betreiben müssen."

1949 war das anders. Da feierten die Selber ihr Fest wieder, und zwar groß: So war der bekannte Berichterstatter Hans-Dieter Ebeler vom Bayerischen Rundfunk mit einem Funkwagen in die Stadt gekommen, um den Radiohörern im Bundesland Eindrücke aus Selb zu schildern. Bewegend fanden die Selber den Abschluss des Heimatabends: Oberbürgermeister Dr. Franz Bogner stimmte das Lied der Deutschen an, was viele rührte.

Am Wiesenfestmontag dann hatten die Selber wieder was zu lachen: Mitglieder des Vereins der "Aufg'legten" organisierten - wie sie es schon seit 1927 getan hatten - einen parodistischen Festzug durch Selb zum Festplatz. Ein "Hochzeitszug" lief um 9 Uhr Richtung Goldberg, inklusive eines als Braut verkleideten Herren, barfüßigen Frackträgern, einem "Bürgermeister" und allerhand anderer skurriler Figuren. Den vielen Selbern, die am Straßenrand standen und zusahen, hat es gut gefallen. Um 10 Uhr begannen die Spiele für Erwachsene und Kinder, die die "Aufg'legten" vorbereitet hatten, darunter Wurstschnappen und Schubkarrenrennen, und im Kaffeezelt hörten sich die Besucher humorige Vorträge an.

Ein wenig im Dunkeln liegt dennoch vieles vom Wiesenfest 1949. Zwar trugen die blechernen Abzeichen zum Anstecken seinerzeit die Prägung "Stadt Selb", doch im kommunalen Archiv findet sich gar nichts darüber, berichtet Dieter Arzberger. "Normalerweise beschließt ja der Stadtrat, dass ein Wiesenfest stattfindet, wer dort seine Buden aufbauen darf, was das Bier kostet und so weiter. Aber aus dem Jahr 1949 gibt es keine Unterlagen darüber." Vermutlich habe also der damalige US-amerikanische "Resident Officer", der die Verwaltung im besetzten Deutschland repräsentierte, die Erlaubnis zur Feier des Festes gegeben - zu diesem Zeitpunkt war das Austin R. Martin, weiß Dieter Arzberger. "Er war bei der Selber Jugend sehr beliebt."

Nur private Archive geben Aufschluss über dieses erste Nachkriegs-Wiesenfest, denn auch das Zeitungsarchiv weist eine Lücke auf: Das Selber Tagblatt erschien nämlich erst am 26. August 1949 unter seinem alten Besitzer Friedrich Münch wieder - zu spät für einen Bericht vom Neuauflebenlassen dieser schönen Traditionsveranstaltung. 1950 aber widmete die Zeitung der Feier des Vorjahrs einen kleinen Rückblick und der aktuellen den bis heute üblichen Rahmen: Viel Text und noch sehr viel mehr an Bildern.

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Vom 12. bis 14. Juli findet in diesem Jahr das Selber Wiesenfest statt.

Bis zur Währungsreform hätten die Leute ja Tauschhandel an den Bratwurstbuden betreiben müssen.

Heimatforscher Dieter Arzberger

Das Wiesenfest ist ein Stück echter Demokratie, von dem man selbst als Amerikaner noch etwas lernen kann.

Der frühere "Resident Officer" Austin R. Martin

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