Wirtschaft „Sachgrundlose Befristungen sind unsozial“

"Sachgrundlose Befristungen sind unsozial", sagt der oberfränkische DGB-Regionsgeschäftsführer Mathias Eckardt. Quelle: Unbekannt

Die Gewerkschaften kämpfen gegen die Befristung von Arbeitsverträgen. Der oberfränkische DGB-Regionsgeschäftsführer Mathias Eckardt sieht durch diese Einstellungspraxis den Standort Oberfranken in Gefahr.

 
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Die Gewerkschaften kämpfen gegen die Befristung von Arbeitsverträgen. Der oberfränkische DGB-Regionsgeschäftsführer Mathias Eckardt sieht durch diese Einstellungspraxis den Standort Oberfranken in Gefahr. „Wer für seine Wettbewerbsfähigkeit die Absicherung über befristete Arbeitsverträge benötigt, hat die Zeichen der Zeit noch immer nicht erkannt“, mahnt er im Interview.

Sehr geehrter Herr Eckardt, laut Arbeitsmarktforschern sollen mittlerweile 3,15 Millionen Menschen in befristeten Arbeitsverhältnissen angestellt sein – 1,6 Millionen davon ohne sachlichen Grund. Wo in der Arbeitswelt sind sie besonders häufig?

Mathias Eckardt: Bei der sachgrundlosen Befristung gibt es große Unterschiede je nach Branche und Qualifikation. Insbesondere der Dienstleistungssektor geht hier mit negativem Beispiel voran. Die „Spitzenreiter“ sind im Bereich Erziehung und Unterricht, also Lehrer, Erzieher und Sozialpädagogen, dem Gesundheits- und Sozialwesen mit Pflegern, Sozialarbeitern und Ärzten, sowie in der öffentlichen Verwaltung anzutreffen. Vor allem bei Letztgenannter beträgt der Befristungsanteil bei Einstellungen 59,5 Prozent. In der Wissenschaft sind es sogar 86,8 Prozent.

In vielen Einrichtungen der öffentlichen Hand, Landesämtern oder Hochschulen, werden auch Experten mit hochwertigen akademischen Abschlüssen nur befristet eingestellt. Mit welchen Konsequenzen?

Mathias Eckardt: Haushaltsmittel im öffentlichen Bereich sind durch die Jährlichkeit der öffentlichen Haushalte immer begrenzt. Dies wird als Grund für die Befristung von Arbeitsverträgen genutzt. Die Folge: Neun von zehn wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind nur befristet beschäftigt. Und über die Hälfte der Zeitverträge hat eine Laufzeit von weniger als einem Jahr. Diese Verhältnisse gefährden meiner Meinung nach nicht nur die Attraktivität des Arbeitsplatzes Hochschule und Forschung, sondern auch die Kontinuität und damit die Qualität von Forschung und Lehre. Eigentlich sollte der öffentliche Sektor mit gutem Beispiel vorangehen – aber er ist einer der Treiber dieser negativen Entwicklung.

Und wie sieht es in den Unternehmen aus?

Mathias Eckardt: Die Einstellung von neuen Arbeitskräften erfolgt trotz guter Konjunktur auch in Unternehmen immer noch fast zur Hälfte mit befristeten Arbeitsverträgen. Begründet wird dies überwiegend mit dem Testen der Arbeitsleistung der neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Obwohl üblicherweise eine Probezeit von sechs Monaten im Arbeitsvertrag vereinbart wurde, möchte man die Neuen lieber über zwei Jahre lang „austesten“. Ganz widersinnig wird dieses Verhalten, wenn Auszubildende nach dreieinhalb Jahren Ausbildung im gleichen Betrieb anschließend noch einmal zwei Jahre befristet „auf Probe laufen“ sollen. Ich frage mich bei solchen Vorgehensweisen schon, wie wir so in Zeiten zunehmender demographischer Probleme unsere Fachkräfte in Oberfranken für die Zukunft gewinnen und auch in den Unternehmen halten wollen.

Wo liegen die Gefahren, wenn sachgrundlose Befristung zum Standard beim Berufseinstieg wird?

Mathias Eckardt: Befristete Beschäftigung ist vor allem ein Problem der jungen Menschen. Wer jung ist, steht am Anfang des Berufslebens und muss sich zwangsweise oft mit einer befristeten Stelle zufrieden geben. Diese Zeiten sind aber mit hoher Unsicherheit verbunden, Qualifikation droht verloren zu gehen und qualifizierte Arbeitskräfte wandern ab. Manche Arbeitgeber versuchen die Situation den jungen Menschen schmackhaft zu machen, indem sie hervorheben, so könne man flexibel bleiben und auch mal wieder etwas anderes machen. Doch spätestens beim Abschluss eines Mietvertrages oder beim Autokauf stellen Befristete recht schnell fest, dass sie nur Arbeitnehmer zweiter Klasse sind. Wer befristet beschäftigt ist, hat in der Regel geringere Löhne zu erwarten, schlechtere Arbeitsbedingungen und ein höheres Risiko gekündigt und arbeitslos zu werden.

Laut Koalitionsvertrag will die Bundesregierung den Anteil sachgrundloser Befristung bei Arbeitgebern mit mehr als 75 Mitarbeitern auf 2,5 Prozent der Beschäftigten beschränken und die Höchstdauer der Befristungen von 24 auf 18 Monate verkürzen. Reichen diese Maßnahmen aus?

Mathias Eckardt: Sollten die vereinbarten Schritte zur Eindämmung der Befristungen umgesetzt werden, so würde sich zumindest eine Verbesserung für viele Betroffene ergeben. Trotzdem wird der DGB auch zukünftig für eine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung streiten. Denn sachgrundlose Befristungen sind unsozial. Sie hebeln die Mitbestimmungsmöglichkeiten von Betriebs- und Personalräten aus und führen dazu, dass die Betroffenen mit erheblicher Planungsunsicherheit konfrontiert sind.

Wirtschaftsvertreter hingegen sehen ohne Befristungen die Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr.

Mathias Eckardt: Wer für seine Wettbewerbsfähigkeit die Absicherung über befristete Arbeitsverträge benötigt, hat die Zeichen der Zeit wahrscheinlich noch immer nicht erkannt. Zurückgehende Zahlen bei den Schulabgängern und immer mehr unbesetzte Ausbildungsplätze stellen gerade für Oberfranken ein zunehmendes Standortproblem dar. Wer hier wöchentlich den Fachkräftemangel beklagt, aber gleichzeitig mit Befristungen arbeitet, braucht sich nicht zu wundern, wenn sich unsere gut ausgebildeten Fachkräfte dann in Richtung Süden orientieren. Richtig wäre es, wenn unsere Unternehmen ihren Mitarbeitern Zukunftsperspektiven für die bevorstehenden Digitalisierungs- und Automatisierungsprozesse aufzeigen würden.

Christian Hohendanner, Forscher beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, befürchtet, dass Arbeitgeber bei einer Einschränkung der Befristungen stärker auf Zeitarbeit sowie Werks- und Dienstverträge ausweichen könnten und sich bei Einstellungen zurückhalten. Dazu könnte auch eine pauschale Begrenzung von Kettenbefristungen beitragen.

Mathias Eckardt: Diese Befürchtungen teile ich nicht. Unsere Unternehmen sind zur Erhaltung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zum Großteil auf qualifizierte Fachkräfte angewiesen. Ein verstärkter Einsatz von Zeitarbeit oder Werksvertragsverhältnissen ist nicht zu erwarten, da diese Leute das gewünschte Qualifikationsprofil nur sehr selten mitbringen. Hier hat die gute Konjunktur dafür gesorgt, dass zumindest im produzierenden Gewerbe die guten Fachkräfte bereits fest in den Unternehmen Anstellung gefunden haben. Nur eine Begrenzung der Kettenbefristungen wird zur Bewältigung unserer Herausforderungen in der Zukunft bei weitem nicht ausreichen. Deshalb halte ich einen Ausweicheffekt in nennenswerter Größenordnung für unrealistisch.

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